Frevel im Beinhaus
später einen Boten schicken. Beeilt Euch, Frau Adelina. Wir sollten keine Zeit verlieren. Oder wollt Ihr Eurem Gemahl etwas zu essen mitnehmen? Frische Kleider vielleicht?»
Adelina, die bereits losgegangen war, ihren Mantel zu holen, kehrte um. «Darf ich das denn?»
Reese lächelte. «Wenn ich es sage. Aber macht schnell. Der Weg zur Torburg ist weit.»
Also rief Adelina nach Magda und richtete mit ihr zusammen, so schnell es ging, einen Korb mit Brot, kaltem Eintopf, einer vom vergangenen Abendessen übriggebliebenen gebratenen Speckseite und frischen Beeren aus dem Garten, die die Mädchen kurz zuvor hereingebracht hatten. Auf Reeses Rat hin packte sie auch ein paar saubere Kleidungsstücke ein. Schwer beladen folgte sie schließlich Georg Reese durch die Stadt zum Gefängnisturm.
***
Neklas wirkte blass unter den dichter werdenden Bartstoppeln, schien jedoch einigermaßen gefasst und, soweit man davon in einem Gefängnis sprechen konnte, ganz guter Dinge. Reese gab dem Wachmann Pitter den Befehl, den Gefangenen für die Dauer des Gesprächs von seiner Eisenfessel zu befreien, auf diese Weise war es Neklas möglich, sich seiner verschmutzten Kleider zu entledigen und in die frischen Sachen zu schlüpfen, die Adelina ihm mitgebracht hatte. Allerdings, so hatte Reese ihr vorab erklärt, würde dieses Privileg sie einiges kosten. Die Wächter in der Torburg taten nichts ohne den entsprechenden Lohn. Doch Adelina störte sich nicht daran. Sie hätte ihr gesamtes Geld und mehr gegeben, um Neklas den Aufenthalt in der Zelle so bequem wie nur irgend möglich zu machen.
Er fiel wie ein ausgehungerter Wolf über den kalten Eintopf her und spülte mit dem Bier nach, das Magda ebenfalls in den Korb gepackt hatte. Erst als er mit einem Stück Brot die Schüssel auswischte, kam Reese auf den Grund ihres Besuchs zu sprechen.
Aufmerksam hörte Neklas ihm zu, der mit Adelinas Unterstützungdie Ereignisse und ihre Schlussfolgerungen zusammenfasste.
Adelina fühlte sich in Neklas’ Gegenwart seltsam befangen, weil sie immer wieder daran denken musste, dass sie vor kurzem so sehr an ihm gezweifelt hatte. Sie traute sich jedoch nicht, ihm davon zu erzählen, schon gar nicht in Reeses Gegenwart. Außerdem lauschte auch Endres ihren Ausführungen mit gespitzten Ohren, und einem abgerissenen Kerl wie ihm wollte sie lieber nicht auf die Nase binden, dass es einen unterirdischen Geheimzugang zu ihrem Haus gab.
Neklas schien zu spüren, dass etwas mit ihr nicht stimmte, doch auch er verlor kein Wort darüber. Als er erfuhr, dass Greverode sich ebenfalls für ihn einsetzte und Adelina versprochen hatte, sie nach Kräften zu unterstützen, wechselte er kurzfristig die Gesichtsfarbe, sagte aber auch hierzu kein Wort. Stattdessen sammelte er die restlichen Lebensmittel aus dem Korb heraus und legte die leere Schüssel und den Bierkrug wieder hinein. Die schmutzigen Kleider packte er obenauf, dann schob er Adelina schweigend und mit einem undeutbaren Blick den Korb zu. «Es könnte also, wenn ich das recht verstehe, um eine Sekte von Teufelsanbetern gehen», fasste er nüchtern zusammen. «Das würde erklären, weshalb der Schustersfrau das Kind aus dem Leib geschnitten wurde.»
«Wie meinst du das?», fragte Adelina und stellte den Korb neben sich. Sie fühlte sich unwohl, nicht nur, weil ihr schlechtes Gewissen sie plagte, sondern auch, weil sie Neklas’ plötzliche Distanziertheit spürte und zu verstehen glaubte, woher sie rührte. Offenbar dachte er, zwischen ihr und Greverode könnte sich eine innigere Vertrautheit anbahnen, als einem Ehemann lieb sein konnte. Wie falsch er damit lag – oder vielmehr, von welch falschen Voraussetzungen er dabei ausging –, ganz abgesehen davon, dass sie jaimmerhin sein Kind unter dem Herzen trug –, konnte und durfte sie ihm vorerst nicht verraten. Diese Tatsache ließ ihre Verzweiflung weiter anwachsen, doch um sich nichts anmerken zu lassen, gab sie sich betont sachlich und zog sich bewusst noch ein Stückchen mehr von Neklas zurück. Es war ärgerlich genug, dass man Greverode fortgeschickt hatte. Doch es bestand immerhin die Möglichkeit, dass er in ein, zwei Tagen zurück sein würde, um ihr zu helfen. Sie durfte dies nicht aufs Spiel setzen, indem sie ihre familiäre Verbindung zu früh preisgab. Ihr Herz jedoch blutete dabei.
Neklas’ Miene blieb undurchsichtig, als er erklärte: «Soweit mir bekannt ist, gibt es Rituale bei solchen Beschwörungen, bei denen das Blut ungeborener
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