Frevel: Roman (German Edition)
aus.
»Nein, vermutlich nicht.« Er schlägt seinen Kragen hoch, und wir wenden uns in die Richtung von St. Paul’s, getreu des Grundsatzes, dass man in der Menge am wenigsten auffällt. Ich lege eine Hand schützend über meinen Geldbeutel. »Ich weiß zu viel über Douglas, das ist das Problem«, fährt Fowler fort. »Wenn ein Mann sich in ein anderes Land absetzt, um dort in eine andere Haut zu schlüpfen, ist ein Landsmann, der seine wahre Geschichte jeden Moment ausplaudern kann, das Letzte, was er brauchen kann. Stellt Euch vor, jemand, der Euch von Italien her kennt, würde plötzlich in Salisbury Court auftauchen.« Er lächelt, aber ich muss an Marie de Castelnaus verschlagene Anspielung auf den toten Mann in Rom denken und schlinge die Arme um meine Brust, um einen Schauer zu unterdrücken.
»Auf jeden Fall sollten wir auf der Hut sein«, warne ich, als wir durch die Tore in den Schatten der großen Kathedrale treten, deren Mauern zweihundert Fuß hoch vor uns aufragen und deren zerborstener Turm wie ein Fingerstumpf zum trüben Himmel emporzeigt. »Sie vermuten, dass sich jemand an der Post zu schaffen macht.« Als wir an den Ständen der Buchhändler vorbeischlendern, erzähle ich ihm von dem, was in Phelippes’ Werkstatt geschehen ist, von dem verschwundenen Ring und der wachsenden Besorgnis der Verschwörer bezüglich ihrer Korrespondenz mit Maria. Erst als ich alles laut wiedergebe, fällt mir auf, dass Henry Howard Douglas nicht anvertraut hat, was seiner Meinung nach gestohlen wurde; ganz eindeutig gären hinter den verschlossenen Türen von Salisbury Court Geheimnisse innerhalb von Geheimnissen. Phelippes’ Scherz über eine Verlobung kommt mir wieder in den Sinn und gewinnt plötzlich eine neue Bedeutung, angesichts derer ich abrupt stehen bleibe. Wenn Howard auf eigene Faust mit Maria korrespondiert, ist es dann möglich, dass er beenden will, was sein Bruder begonnen hatte? Es wäre ein Spiel mit enormem Einsatz – wenn diese Invasionspläne auch nur den Hauch einer Chance auf Erfolg haben, könnte jeder Mann, den Maria heiratet, damit rechnen, bei ihrer Krönung König von England zu werden. Könnte er ihr mit seinen privaten verschlüsselten Briefen den Hof machen? So ein Unterfangen wäre Henry Howard durchaus zuzutrauen.
»Bruno?« Fowler ist gleichfalls stehen geblieben und mustert mich voller Sorge. Ich beschließe, diese Vermutungen für mich zu behalten.
»Also denkt Howard offenbar, ich wäre der Schuldige, und Douglas möchte gerne glauben, dass Ihr es seid«, stelle ich fest, als wir die Apsis am östlichen Ende des Gebäudes umrunden und uns hinter der Menge wiederfinden, die sich um die kleine Außenkanzel St. Paul’s Cross drängt. Trotz des Windes harren die Menschen stoisch aus und verrenken sich die Hälse, um die Worte des Predigers aufzuschnappen, ehe sie von den Böen fortgerissen werden. Ich kann den Mann über den Köpfen des Publikums kaum erkennen, aber aus den Fetzen seiner Rede, die zu uns hinüberwehen, entnehme ich, dass er gegen Weissagungen, Zukunftsvorhersagen und auch gegen alte Prophezeiungen wettert. Er bellt etwas von König Saul und der Hexe von Endor. Ich nehme an, dass die Predigt offiziell gebilligt wurde; kein dummer Schachzug, da der Kirchhof der Hauptmarkt für den illegalen Verkauf von Flugschriften wie der ist, die Douglas uns eben gezeigt hat; die Händler mischen sich unter die Männer, die verbotene heilige Reliquien feilbieten, die sie unter ihren Umhängen bei sich tragen.
»Was ist mit Eurem nervösen Freund Dumas, dem Sekretär?«, erkundigt sich Fowler. »Ist er schon in das Visier von irgendjemandem geraten?«
»Zum Glück noch nicht. Bislang hat er die Nerven behalten.«
»Gut. Dann entspringen ihre Verdächtigungen im Moment blanker Bosheit, und wir werden sie hoffentlich leicht zerstreuen können. Was zählt, ist, dass niemand auf die Idee kommt, Dumas genauer in Augenschein zu nehmen. Wenn er verhört wird, ist das unser Ende.«
»Allerdings«, bestätige ich im Brustton der Überzeugung. Dumas würde bei der ersten Beschuldigung zusammenbrechen, es darf auf keinen Fall auch nur der Schatten eines Verdachts auf ihn fallen. Dann erinnere ich mich an die Gestalt, die ich hinter der Kirche in der Leadenhall Street verschwinden zu sehen gemeint hatte, als Dumas und ich Phelippes’ Haus verließen, und an den merkwürdigen Zufall, dass Douglas plötzlich just an dem Ort aufgetaucht ist, an dem ich Fowler treffen wollte. Wieder
Weitere Kostenlose Bücher