Frevel: Roman (German Edition)
umklammern ihre Hände. Beide tragen weiße Seidengewänder und weinen bitterlich. Lady Seaton hebt eine Hand, woraufhin die Mädchen sich bemühen, ihr Schluchzen zu dämpfen.
»Was seid Ihr?«, fragt sie mit klarer Stimme. Etwas Anklagendes schwingt in ihrem Ton mit; ich spüre, dass ihre offenkundige Abneigung nicht mir persönlich gilt, sondern dass sie sich ihrer Stellung bewusst ist und es vorgezogen hätte, wenn man ihr jemand geschickt hätte, der einen höheren Rang bekleidet als ich.
»Ich bin Italiener, Mylady. Lord Burghley hat mich gebeten, mich zu erkundigen, ob Ihr Euch an irgendetwas erinnern könnt, was …«
»Ich meinte Eure Tätigkeit. Ihr seid kein Höfling, denke ich. Was dann? Ein Diplomat?«
»Etwas in der Art, Mylady.«
Sie zupft ihre voluminösen Röcke zurecht, raschelt ostentativ mit der Seide, während sie meinem Blick ausweicht.
»Wie eigenartig, dass Burghley einen Ausländer schickt. Aber fahrt fort.«
»Die junge Lady, Cecily Ashe – habt Ihr eine Ahnung, wen sie an diesem Abend in der Kapellenruine treffen wollte?«
»Die Papisten haben das getan, müsst Ihr wissen«, faucht Lady Seaton und beugt sich vor. Zugleich bemerkte ich, dass das rothaarige Mädchen, das links neben ihrem Stuhl kniet, sich auf die Lippe beißt und zu Boden starrt.
»Wie kommt Ihr darauf, Mylady?«
»Wegen des sakrilegischen Charakters dieser Tat.« Sie sieht mich an, als müsse diese Antwort auf der Hand liegen. »Ich nehme an, Ihr seid oder wart auch einer von ihnen?«
»Früher einmal. Aber Seine Heiligkeit Papst Gregor ließ mich exkommunizieren und würde mich gerne auf dem Scheiterhaufen brennen sehen. Deswegen lebe ich jetzt in dem mir freundlicher gesonnnen Reich Ihrer Majestät.«
»Ich verstehe.« Ein Anflug von Neugier huscht über ihr Gesicht. »Was habt Ihr getan, um ihn so gegen Euch aufzubringen?«
»Ich habe Bücher gelesen, die die Inquisition verboten hat. Ich habe den Dominikanerorden ohne Erlaubnis verlassen, und ich habe geschrieben, dass sich die Erde um die Sonne dreht, dass die Sterne nicht fest am Himmel stehen und dass das Universum unendlich ist.« Ich zucke mit den Achseln. »Unter anderem.«
Sie überdenkt dies mit einem leisen Naserümpfen, als wäre ihr ein übler Geruch entgegengeschlagen.
»Gütiger Himmel. Dann wundert mich das nicht. Um Eure Frage zu beantworten – ich habe keine Ahnung, was Cecily in der Kapelle zu suchen hatte. Ich habe sie zuletzt heute Nachmittag um vier gesehen, als sie unter meiner Aufsicht zusammen mit den anderen Hofdamen die Juwelen der Königin für den Abend zurechtgelegt hat. Nach dem Essen sollte in der großen Halle musiziert werden. Master Byrd sollte spielen.« Sie hält inne, ihre Stimme zittert leicht. Das rothaarige Mädchen unterdrückt ein Schluchzen. »Cecily zog sich zurück, um sich mit den anderen Mädchen vor dem Abendgottesdienst umzuziehen, und danach habe ich sie nicht mehr zu Gesicht bekommen.«
»Aber sie hat sich offenbar als Junge verkleidet davongeschlichen, um irgendjemanden zu treffen. Wisst Ihr, wer das gewesen sein könnte?«
Lady Seatons Augen werden schmal.
»Lächerlich«, schnaubt sie schließlich, sichtlich bemüht, Ruhe zu bewahren. »Allein der Gedanke ist lächerlich. Diese Mädchen stehen unter meiner Aufsicht, Master …«
»Bruno.«
»… und deshalb ist mir die Andeutung, ich würde es mit ihrer Ehre und ihrem Ruf nicht äußerst genau nehmen, zutiefst zuwider, besonders unter diesen Umständen. Ihre Majestät duldet keine Unmoral an ihrem Hof. Wie auch immer die Sitten in Italien sein mögen – die Hofdamen der Königin von England lassen sich nicht am helllichten Tag auf ein Stelldichein ein, sodass es jeder mitbekommt.«
Ich bin versucht, sie zu fragen, ob sie damit bis zum Anbruch der Dunkelheit warteten, ahne aber, dass sie Spott nicht gut verträgt. Das rothaarige Mädchen schielt verstohlen nach oben, und unsere Blicke kreuzen sich einen Moment lang, bevor es sichtlich gequält zur Seite schaut.
»Ich kann nur vermuten, dass sie den Hof überquert hat und von ihrem Angreifer in den Kapellengarten gezerrt wurde«, bemerkt Lady Seaton mit einem so nachdrücklichen Nicken, als sei dies ihr letztes Wort in dieser Angelegenheit. Dann wird ihr Gesicht weicher, etwas wie Bedauern spiegelt sich darin wider. »Ihre Majestät hat Cecily besonders geschätzt, müsst Ihr wissen. Sie mochte es, wenn sie ihr abends aus Senecas Werken vorlas. Cecilys Latein war von allen Mädchen das
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