Frevel: Roman (German Edition)
zugemauerten Fenstern ein großes, von einer der arabischen astrologischen Karten abgezeichnetes Bild des Universums mit konzentrischen, in die verschiedenen Häuser des Tierkreises unterteilten Kreisen. Darunter steht ein Schrank aus schwarzem Holz, dessen Türen mit einem Einlegemuster aus kleinen Perlmuttrauten verziert sind. Darauf liegen verstreute Papiere und alte Schreibfedern. Zu meiner Linken steht am anderen Ende des Raumes ein rechteckiger, mit einem dunkelroten Samttuch bedeckter Steinblock. Er sieht aus wie ein Altar, zu beiden Seiten ist ein silberner Kerzenleuchter aufgestellt, aber in der Mitte ruht ein polierter, im schwachen Licht blassrosa schimmernder Kristall in einem Messingdreibein, der dem von John Dee bis ins Detail gleicht. In Oxford habe ich einmal eine solche geheime Kapelle gesehen und gehört, dass sich die katholischen Edelleute Englands diese Räume häufig in ihre Herrenhäuser einbauen lassen, um dort unbemerkt die Messe zu hören, aber dies hier scheint kein Ort katholischer Glaubensausübung zu sein. Als ich zu Boden schaue, erblicke ich in Pentagramme unterteilte Kreidekreise auf dem Stein. Jede Unterteilung weist astrologische und okkulte Symbole auf. Als ich mich langsam umdrehe, um den Linien zu folgen, bemerke ich in einer Ecke des Raums ein leichtes Glitzern. Ich hebe die Kerze und springe beim Anblick eines aus Messing gefertigten menschlichen Schädels auf einem steinernen Sockel erschrocken zurück. Die Konturen sind gespenstisch lebensecht, die Wangen jedoch hohl und ausgezehrt, als hätte man vom Kopf eines Leichnams einen Abdruck gemacht. Die Augen sind blank und glatt, der Mund eingefallen wie der des Messingkopfes, den der Mönch Roger Bacon vor ungefähr dreihundert Jahren besessen haben soll – der Kopf, der der Legende zufolge durch die Macht der Geister Prophezeiungen ausgesprochen hat. Meine Haut prickelt, und die Haare auf meinen Armen richten sich auf – dieser Kopf ist das bislang eindeutigste Zeichen dafür, dass es sich bei diesem Raum um einen Tempel hermetischer Magie handelt. Die Schriften von Hermes Trismegistos behandeln die Kunst, Statuen mittels Geistermacht mit Leben zu erfüllen, um sie weissagen zu lassen. Der heilige Augustin hat dies als dämonische Magie verdammt, aber der wahre Adept weiß es besser. Hat Henry Howard versucht, den Bronzekopf zum Sprechen zu bringen?
Über dem Kopf ist ein Regal an der Wand angebracht, auf dem Glasphiolen und Flakons sowie eine Reihe von Gegenständen, die wie chirurgische Instrumente aussehen, angeordnet sind. Einige dieser Phiolen sind mit Flüssigkeiten gefüllt, andere enthalten seltsame Gegenstände – Knochensplitter, Haar oder Hautstücke, Dinge der Art, wie man sie in einem katholischen Reliquienschrein oder in dem Laboratorium eines Alchemisten zu finden erwartet. Gegenüber dem Altar steht ein mannshoher, vielleicht vier Fuß breiter Spiegel aus Obsidian an der Wand. Meine Umrisse wabern über seine Oberfläche, die Kerzenflamme flackert wild. Der Kristall, der schwarze Spiegel, der Messingkopf – das sind die Gerätschaften derer, die nach Erleuchtung aus dem spirituellen Reich suchen. Also versucht Howard, der große Verdammer von Prophezeiungen, Astrologie und jeder Art von Weissagungen, selbst Kontakt mit den Mächten jenseits der Sterne aufzunehmen. Dee hat so etwas bereits geahnt. Ich kann mir ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen.
Die Kerze brennt herunter, und der ständige kalte Luftzug droht sie zum Erlöschen zu bringen. Ich darf nicht riskieren, dass sie ausgeht, also durchquere ich rasch den Raum und entzünde die beiden Kerzen auf dem Altar. Die neuen Lichtkreise kräuseln sich über der Ziegelwand und drängen die Schatten ein wenig zurück. Mit bis zum Zerreißen angespannten Nerven, kaum zu atmen wagend, kehre ich zu dem Schrank zurück und beginne die Papiere durchzusehen. Ich kann kein System, keine Ordnung darin erkennen; bei einigen scheint es sich um komplexe astrologische Berechnungen unter Einbeziehung der Positionen der Planeten in der Großen Konjunktion und ihrer Bewegungen durch den Kalender zu handeln, andere zeigen eine Reihe von Tabellen, die aussehen wie Codes und Ziffern. Hiervon gibt es Dutzende, scheinbar endlose Variationen derselben Tabelle, peinlich genau kopiert; Listen von Buchstaben, Zahlen und Symbolen in verschiedenen Anordnungen. Darunter finde ich einen Rohentwurf der Karte, die Henry Howard beim Essen herumgereicht hat, zusammen mit der Liste
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