Frevel: Roman (German Edition)
potenzieller Landeplätze und Namen von katholischen Großgrundbesitzern. Ich hebe den Bogen mit der Karte an und ziehe ein anderes Papier hervor. Es gibt mir einen Ruck, als ich begreife, was ich da in der Hand halte. Hastig lege ich es auf die anderen und streiche es glatt, um es gründlich zu studieren. Die Flamme zittert in meiner Hand, als ich mich vorbeuge und zu lesen beginne.
Das Papier zeigt die Stammbäume der Familien Tudor und Stuart, ausgehend von König Henry VII., dem Großvater von Königin Elisabeth, und seiner Frau Elizabeth of York. Die wahre Abstammungslinie – zumindest nach der Auffassung des Verfassers dieser Ahnentafel – ist farblich hervorgehoben und zeigt eindeutig Henrys älteste Tochter Margaret Tudor, die König James IV. von Schottland heiratete, als Großmutter Maria Stuarts. Die Tudor-Linie wird durch König Henry VIII. fortgesetzt, der dieser Genealogie zufolge Catherine of Aragon geheiratet und Königin Mary Tudor gezeugt hat – Elisabeths Halbschwester, die als die Blutige Maria bekannt war und 1558 starb. Henrys weitere Heiraten und Nachkommen werden nicht erwähnt. Natürlich, denke ich – dies ist die katholische Sicht der Thronfolge, die Henrys Scheidung nicht anerkennt und daher seine erste Ehe als die einzige rechtmäßige und seine Tochter Mary Tudor als seine einzige legitime Erbin betrachtet. Deswegen bereitet es ihnen ein solches Vergnügen, Elisabeth als »Bastard« zu bezeichnen. Von Henry VII. jüngerer Tochter, noch einer Mary, stammen noch andere potenzielle Tudor-Thronfolger ab, aber es besteht kein Zweifel an dem, was diese Version der Geschichte zu beweisen wünscht: dass Maria Stuart die älteste lebende legitime Erbin der Krone von England ist.
Der Besitz einer solchen Kopie dieser Ahnentafel gilt nach dem englischen Gesetz als Verrat und wird mit dem Tod bestraft. Aber das ist noch nicht alles, denn neben dem Namen Maria Stuarts steht der ihres verstorbenen Mannes Lord Darnley (auch einem Abkömmling von Margaret Tudor), und darunter zeigt eine Linie die Frucht dieser Verbindung, den derzeitigen König James VI. von Schottland. Daneben prangt fast unsichtbar, aber eindeutig von derselben Hand ausgeführt eine Linie zu Maria, die ein schlichtes »H« mit ihr verbindet. Eine weitere Linie scheint einen möglichen Nachkommen anzuzeigen, doch der Platz, wo der Name des Kindes stehen sollte, ist leer. Ich fahre mir mit der Zunge über die trockenen Lippen, als ich das Papier näher an die Augen halte, wie um die Kühnheit des hier schriftlich Festgehaltenen zu bestätigen. Es besteht kein Zweifel daran, dass es sich um dieselbe Handschrift handelt wie auf der Liste der sicheren Häfen, die am Essenstisch herumgereicht wurde – die Schnörkel sind unverwechselbar –, und sie stammt von Henry Howard. Also lag ich mit meinem Verdacht von Anfang an richtig: Sein eigentliches Ziel besteht darin, Maria zu heiraten, an ihrer Seite auf dem Thron von England zu sitzen und – der Gipfel der Anmaßung – seinen Sohn in die Thronfolgerlinie einzureihen. Unwillkürlich schüttele ich den Kopf, teils ungläubig, teils vor Bewunderung ob des Ausmaßes des Ehrgeizes des Mannes. Natürlich hat er diese Absichten vor seinen Mitverschwörern geheim gehalten. Marie und Courcelles arbeiten für den Herzog von Guise, der sich sicherlich einen hohen Rang in dem neuen katholischen Reich erhofft; als Marias Vetter pocht er vielleicht sogar auf eine Art Familienanspruch. Douglas habe ich immer für einen Opportunisten gehalten – ahnt er, dass er für den Aufstieg der Familie Howard arbeitet, und würde es ihn interessieren, solange etwas für ihn herausspringt? Ich frage mich, ob sogar Philip Howard mit seinem heuchlerischen Plädoyer für eingeschränktes Blutvergießen in die wahren Pläne seines Onkels eingeweiht ist.
Hastig falte ich das Papier zusammen und schiebe es in meinen Hosenbund. Was auch immer ich heute Nacht noch entdecke – das, was ich bereits gefunden habe, war das ganze Risiko wert, denn es ist pures Gold: Eine von Henry Howard angefertigte Ahnentafel, die Elisabeth das Recht auf den Thron abspricht und ganz klar von seiner Absicht zeugt, die Königin von Schottland zu heiraten – auf einen handfesteren Beweis für Howards Verrat kann Walsingham kaum hoffen. Und in einem geschickt geführten Verhör könnte er weitere Einzelheiten bezüglich des Invasionsplans aus ihm herausbringen, sodass genug Zeit bliebe, diesen Plan zu durchkreuzen.
Die Freude über
Weitere Kostenlose Bücher