Frevel: Roman (German Edition)
würde er meine Gedanken erahnen, streckt er, ohne aufzublicken, eine Hand aus und legt sie besitzergreifend an den Griff.
»Ihr bringt mich in eine missliche Lage, Bruno«, sagt er, als er sich die Schatulle unter den linken Arm klemmt. »All das hier …«, er deutet auf die Karte, den Messingkopf und den Altar, »… war nicht für Eure Augen bestimmt. Mein größtes Geheimnis. Wenn es bekannt würde, wäre das der endgültige Nagel im Sarg des Rufes meiner Familie und würde mich in den Tower bringen. Schon vor dieser Nacht wart Ihr kein Mann, dem ich voll und ganz vertraut habe. Was soll ich nun mit Euch machen?« Er streicht mit dem Daumen sacht über das Heft des Schwerts, greift aber nicht danach.
Ein kalter Schauer rinnt mir über den Rücken, und meine Kehle zieht sich zusammen. Ich habe mit etwas Derartigem gerechnet, halte aber störrisch an der Hoffnung fest, mit ihm argumentieren zu können.
»Dee hat Euer Geheimnis erraten und es nicht preisgegeben – wieso denkt Ihr, ich würde anders handeln?«
Ihm ist die Furcht in meiner Stimme nicht entgangen, denn er lacht humorlos auf.
»Dee hat keinerlei Beweise. Außerdem hegt er einen gesunden Respekt vor der Reichweite meines Einflusses, wohingegen es Euch, Bruno, anscheinend gänzlich an Respekt mangelt.« Er stützt die linke Hand auf die Hüfte und schüttelt den Kopf. »Ich glaube, ich habe noch nie einen Mann von niedriger Geburt so selbstherrlich auftreten sehen.«
Erneut wandert mein Blick zu dem Schwert.
»Keine Angst, Bruno, ich habe nicht vor, Euch damit zu durchbohren, es sei denn, Ihr begeht eine Dummheit. Es wäre schwierig, das dem Botschafter zu erklären.« Ein gefährliches Lächeln spielt um seine Lippen. »Zum Glück hat mir Eure kleine Scharade heute Abend den perfekten Vorwand geliefert. Schließlich kommt es häufig vor, dass ein Mann, der dem Wein zu reichlich zugesprochen hat, nachts an seinem eigenen Erbrochenen erstickt.«
»Lasst mich zur Botschaft zurückkehren«, bitte ich. Meine Stimme gleicht einem heiseren Krächzen. »Ich behalte alles, was ich weiß, für mich.«
»So?« Seine Lippen krümmen sich erneut zu einem Lächeln, das verblasst, als er das Schwert in die Hand nimmt. »Auch dann, wenn Dee wegen Hexerei in den Kerker kommt? Das bezweifle ich doch sehr.« Er zielt mit der Schwertspitze auf meine Brust, woraufhin ich instinktiv zurückweiche. »Die Dienstmagd wird Euch am Morgen finden – steif und kalt und mit Erbrochenem besudelt. Dieser Hund hat wahrlich genug davon produziert. Eine peinliche Angelegenheit für die Französische Botschaft, aber Castelnau und ich werden unser Bestes tun, um den Skandal zu vertuschen. Und in dem großen Tumult, der diesem Land bevorsteht, wird sich niemand mehr an den kleinen italienischen Mönch erinnern, der seinen Wein nicht vertragen konnte.«
Er drängt mich mit der Schwertspitze zum anderen Ende des Raumes, wo der Obsidianspiegel steht. Die Schatulle mit dem Buch des Hermes hat er sich fest unter den Arm geklemmt.
»Ich muss Euch hier zurücklassen, während ich die vertrauenswürdigsten Diener des Earls wecke. Ich habe nicht vor, mir selbst die Hände schmutzig zu machen. Vertreibt Euch nur nach Herzenslust die Zeit. Jetzt ist es nicht mehr wichtig, was Ihr hier findet.«
Das Schwert noch immer auf mich gerichtet zieht er sich rückwärts zur Tür zurück. Einen Moment lang erwäge ich flüchtig, auf ihn loszugehen und zu versuchen, ihm die Waffe zu entwinden, aber er ist um einiges größer als ich und würde sich sofort auf mich stürzen. Das Schwert mag ja aussehen, als sei es nur zu Dekorationszwecken gedacht, aber mir ist nicht entgangen, wie scharf die Klinge ist.
An der Tür bleibt Howard noch einmal stehen.
»Ich habe übrigens Euer Buch über die Gedächtniskunst gelesen«, bemerkt er nachdenklich. »Jetzt kann ich ja zugeben, dass ich es für das Werk eines außergewöhnlichen Geistes gehalten habe. Fast tut es mir leid, dass alles so enden muss, aber in diesen Zeiten muss ein Mann um das eigene Überleben kämpfen. Und ich habe ein größeres Schicksal zu erfüllen als Ihr. Lebt wohl, Giordano Bruno.« Er misst mich mit einem langen Blick und tritt dann zur Tür hinaus. Ich höre, wie ein Schlüssel umgedreht und das Bücherregal an seinen Platz zurückgerückt wird. Mit einem Seufzer fahre ich mir mit den Händen durch das Haar, hole tief Atem und versuche, den Raum mit einem klaren Kopf zu inspizieren, obwohl mein Herz wild hämmert und mich eine
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