Frevel: Roman (German Edition)
unterdrücken, die mich überfällt, als meine Schultern einen Moment lang stecken zu bleiben drohen. Nach heftigem Winden gelingt es mir, einen Arm über den Kopf zu heben und nach dem Rand des Rauchfangs zu tasten. Halb quetsche, halb ziehe ich mich durch die Öffnung und reibe mir den Schmutz aus den Augen, als mir der Wind vom Fluss entgegenschlägt. Der Geruch von Themseschlamm und Abwässern war mir nie willkommener.
Wolken jagen über den Himmel hinweg, der fahle Mond verschwindet kurz, bevor er aus ihren blaugrauen Schatten wieder auftaucht. Das Licht reicht aus, um zu sehen und gesehen zu werden, stelle ich fest, als ich auf die Dachziegel springe. Hier in seinem hinteren Teil besteht das Haus aus einem an die Hauptgebäude angrenzenden Gewirr von Anbauten und zusätzlichen Räumen. Der Raum, der die Bibliothek und Howards geheime Kapelle beherbergt, scheint sich an das Ende des Flügels anzuschließen; er ist nur ein Stockwerk hoch, und links von dem Kaminmantel, aus dem ich gekrochen bin, fällt das Dach steil ab. Obwohl die Ziegel von dem früheren Nieselregen glitschig sind, dürfte es nicht schwierig sein, vom Dachende zu Boden zu springen, wenn ich mich langsam hinablassen kann, die Höhe kann nicht mehr als fünfzehn Fuß betragen. Ich vergewissere mich, dass die Papiere und mein Messer noch in meinem Hosenbund stecken, halte mich am Rand des Kaminmantels fest und beginne auf dem Rücken das Dach hinunterzurutschen. Ich habe keine Ahnung, ob Henry Howard inzwischen mit den Dienern zurückgekommen ist und festgestellt hat, dass ich verschwunden bin, und ich weiß auch nicht, in welche Richtung ich laufen soll, wenn ich unten angekommen bin, aber Zögern hilft mir in meiner Situation bestimmt nicht weiter.
Außerdem ist das Dach so glatt, dass ich kaum Einfluss darauf habe, wie schnell ich nach unten rutsche … erst langsam, dann immer schneller, bis ich das letzte Stück zu Boden falle und hart auf der linken Seite lande, als ich versuche, mich abzurollen, um den Aufprall abzumildern. Ich habe mich gerade aufgerappelt und davon überzeugt, dass ich den Arm noch bewegen kann, als nur einen Steinwurf von mir entfernt wütendes Gebell die Nachtluft zerreißt. Panikerfüllt renne ich los, blindlings, nur fort von dem Lärm. Aus der Lautstärke des Gebells folgere ich, dass es sich nicht um den Hund handelt, den ich zuvor mit Wein abgefüllt habe, sondern um einen im Garten gehaltenen Wachhund. Damit hätte ich rechnen müssen, tadele ich mich, als meine Beine mich überraschend schnell über die offene Rasenfläche tragen, die sich bis zum Fluss hinunter erstreckt. Ohne mich umdrehen zu müssen, spüre ich, dass der Hund aufholt, sein abgehackter Atem und sein Knurren klingen hinter mir schon bedrohlich nah. Am Ende des Gartens ist ein Bootshaus um einen kleinen Flussarm herumgebaut – wenn ich eines der Boote erreichen und auf das offene Wasser hinausgelangen könnte, hätte ich eine Chance, Salisbury Court zu erreichen, bevor mich jemand einholt, denn der Weg bis zur Botschaft ist nicht weit.
Aber die Bootshaustür ist abgeschlossen, und jetzt kann ich den Hund nicht nur hören, sondern auch sehen: ein großer, langbeiniger Schatten, dessen Bellen Tote aufwecken könnte. Mein Körper scheint aus einem eigenen Willen heraus zu handeln und jagt jetzt über das Gras auf das in die Mauer eingelassene eiserne Tor zu, durch das wir am Abend zuvor von der Wassertreppe aus das Gelände betreten haben. Auch das Tor ist verschlossen, aber ich erklimme es schneller, als ich jemals an etwas hochgeklettert bin – abgesehen vielleicht von der Mauer von San Domenico Maggiore in der Nacht meiner Flucht vor der Inquisition. Ich schwinge ein Bein über den steinernen Torbogen und lande auf den schleimigen Stufen auf der anderen Seite, wo ich beinahe in das Wasser rutsche. Jetzt vernehme ich vom Haus her auch Stimmen und sehe einen flackernden Lichtpunkt aus der Dunkelheit auftauchen, bei dem es sich nur um eine Fackel handeln kann. Ich betrachte den tintenschwarzen Fluss hinter mir. Sogar im bleichen Mondlicht kann ich sehen, wie schnell er dahinströmt. Aber ich darf keine Sekunde mehr verlieren, der Fackelschein kommt näher, und der Hund wirft sich immer wieder gegen das Tor und schiebt die Schnauze mit den gefletschten Zähnen zwischen den Stäben hindurch. Es scheint ihn rasend zu machen, dass er mich nicht erreichen kann. Ich blicke nach unten. Das Gurgeln des Wassers klingt in der Stille der Nacht
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