Frevel: Roman (German Edition)
unnatürlich laut. Von den Stufen aus ist es nur ein kurzes Stück entlang der Mauer bis zu der Stelle, wo die Boote festgemacht sind, aber die Strömung ist stark – wenn ich sie verfehlen sollte und flussabwärts getrieben würde …
Ich schließe die Augen und springe. Die Kälte verschlägt mir den Atem, und das schwarze Wasser schließt sich so schnell über mir, dass mir die Zeit unter der Oberfläche wie eine Ewigkeit vorkommt. Ich kämpfe gegen das Brennen in meinen Lungen an, als ich auftauche, nach Luft schnappe und mit aller Kraft, die mir geblieben ist, gegen die Strömung anschwimme, die mich schon fast an dem Torbogen vorbeigetragen hat, der zu dem Bootshaus führt. Als Junge war ich ein guter Schwimmer, aber die letzten Jahre in nördlichen Ländern haben meine Begeisterung für diesen Sport gedämpft. Jetzt gewinnen Entschlossenheit und Furcht die Oberhand über die Starre, die sich bereits in meinen Gliedern ausbreitet, und ich pflüge durch die Strömung, bis ich den Rand der Mauer zu fassen bekomme und in das ruhigere Wasser des Bootshauskanals gelange. Männerstimmen dringen durch das Fenster, das Licht der Fackel wirft Schatten über die Decke, aber der in einem ärgerlichen Ton geführte Wortwechsel sowie das heftige Rütteln an der Tür lassen darauf schließen, dass meine Verfolger auch keinen Schlüssel bei sich haben. Meine Hände sind so klamm, dass ich kaum die Finger krümmen kann, um sie um den Rand des nächstgelegenen Bootes zu schließen, aber ich schaffe es, mich über die Seite zu hieven, und sitze einen Moment lang nach Atem ringend da.
Ich zittere jetzt so stark vor Kälte, dass das Klappern meiner Zähne von den Wänden widerhallt; der Versuch, das Seil zu lösen, mit dem das Boot an einem Ring in der Wand befestigt ist, erweist sich als nahezu unmöglich, doch endlich ist das Glück mir hold, das Boot ist von dem Strick befreit, und ich stake mit einem der Ruder an der Wand entlang, bis ich in das offene Wasser der Themse gelange. Im Schatten hinter mir vermischen sich die Zornesrufe eines Mannes mit dem unablässigen Gebell des Hundes und verklingen, als ich das Gesicht in den Wind drehe, meine letzte Kraft aufbiete, um mit dem Boot am Nordufer entlangzurudern, und hoffe, genug sehen zu können, um die Anlegestelle an der Water Lane und die Gartenmauer von Salisbury Court zu erkennen. Als der Bug des Bootes eine große Welle durchschneidet, trifft mich ein eiskalter Gischtregen, und ein sengender Schmerz schießt durch meine linke Schulter, als ich mich bemühe, den Kurs zu halten. Noch nie sind mir die Mauern des Botschaftsgebäudes so verheißungsvoll vorgekommen.
16
Salisbury Court, London
3. Oktober im Jahr des Herrn 1583
Ich schiebe das Boot in die Strömung zurück, nachdem ich in den weichen Schlamm gesprungen bin, der das Pflaster dort überzieht, wo die Water Lane zum Fluss abfällt. Bis auf die Haut durchweicht, bis ins Mark durchfroren, unkontrolliert zitternd und gegen einen pochenden Schmerz hinter den Augen ankämpfend schleppe ich mich die Water Lane empor bis zum Gartentor von Salisbury Court, das ich zu meiner abgrundtiefen Erleichterung unverschlossen vorfinde. Ich rechne nicht damit, mit der Haustür ebenso viel Glück zu haben; vielmehr frage ich mich, ob wohl noch ein paar Dienstboten wach sind und wie viel Verwirrung und Anlass für Klatsch mein Anblick hervorrufen wird, aber als ich den Garten durchquere, sehe ich hinter einem Fenster zu ebener Erde Licht brennen. Als ich mich näher heranpirsche und die Fenster abzähle, erkenne ich, dass es sich um Castelnaus Arbeitszimmer handelt. Der Schlaf scheint den armen Mann immer noch zu meiden. Wie muss es Courcelles genossen haben, ihm in aller Ausführlichkeit zu berichten, warum ich nicht mit ihm und Marie zurückgekehrt bin! Zumindest dafür schulde ich dem Botschafter eine Erklärung, und vielleicht ist dieser Weg dem Wecken der Diener vorzuziehen. Ich beiße die Zähne zusammen, bücke mich und klopfe leicht gegen den Fensterrahmen.
Drinnen ertönt ein erschrockener Schrei, dann fällt etwas zu Boden. Daraufhin erscheint ein Schatten am Fenster, der eine Öllampe in die Höhe hält.
»Mylord – ich bin es, Bruno.« Vor lauter Zähneklappern bringe ich die Worte kaum heraus.
Nach einer kleinen Pause wird das Fenster einen Spaltbreit geöffnet.
»Bruno? Guter Gott, Mann, was ist denn mit Euch passiert? Was tut Ihr da draußen?«
»Kann ich zuerst hereinkommen?« Ich deute auf das Fenster, er
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