Frevel: Roman (German Edition)
regelmäßiger Besucher bekannt war, könnte jemand vermutet haben …« Seine Stimme schleppt sich in ein angsterfülltes Schweigen.
»Dass er einer von Marias Kurieren war?«
»Es heißt, Francis Walsingham hätte seine Spione überall.« Castelnau zupft an seinem Bart, und ich halte den Blick unverwandt auf den Toten auf dem Tisch geheftet. »Was, wenn Throckmorton indiskret war? Wir können davon ausgehen, dass Marias Diener in Sheffield Castle genau überwacht werden – was, wenn jemand Throckmorton dort erkannt hat? Ich muss zugeben, dass ich an Léons Loyalität gezweifelt habe, seit ich von seinem Tod erfuhr«, murmelt er mit gedämpfter Stimme. »Wie Ihr wisst, hat er meine private Korrespondenz erledigt – er hatte Zugang zu allen Geheimcodes. Bis heute Abend hatte ich keinen Grund, seine Zuverlässigkeit in Frage zu stellen, aber jetzt kann ich an nichts anderes denken. Was haltet Ihr davon, Bruno? Könnte er so sehr nach englischen Münzen gegiert haben, dass er dafür mich und die Botschaft verkauft hätte?«
Seine Augen weiten sich, und hinter seiner Müdigkeit erkenne ich, dass er von echter Furcht schier aufgefressen wird. Mir wird sofort klar, was ich tun muss, obwohl mich seine Worte bis ins Mark treffen und ich am liebsten voller Scham den Blick gesenkt hätte. Doch stattdessen schüttele ich meinen Kopf.
»Ihr habt begonnen, Gespenster zu sehen, Mylord.« Ich erinnere mich an den Ton, den mein Vater angeschlagen hat, wenn ich als Junge Albträume hatte, und versuche so beruhigend wie möglich zu klingen. »Unter der Last, die Ihr zu tragen habt, wären ganz andere Männer zusammengebrochen, und diese furchtbare Sache hat uns alle erschüttert.« Behutsam lege ich eine Hand auf Dumas’ starren Körper. »Léon hat Euch und Frankreich die Treue gehalten, da bin ich ganz sicher. Wir sollten uns jetzt nicht vor Angst von unseren Zielen ablenken lassen. Ihr habt ja selbst gesagt, dass Paul’s Wharf ein gefährlicher Ort für Ausländer ist.«
Er verzieht das Gesicht. »Aber ich habe eine Dummheit begangen. Dieser Brief, den ich an Maria geschrieben und in dem ich ihr angesichts von Howards Anschuldigungen meine Loyalität versichert habe – ich habe ihn in aller Eile verfasst, damit er Throckmorton noch vor seinem Aufbruch erreicht, also habe ich ihn nicht verschlüsselt. Er trägt das Siegel der Botschaft … wenn der in die falschen Hände fällt …«
Er starrt mich an, hofft auf Trost. Nur allzu gern würde ich ihm sagen, dass derjenige, der Dumas auf dem Gewissen hat, nicht das geringste Interesse an dem Brief gehabt haben dürfte, doch ich kann mir in keinem Punkt mehr sicher sein. Mein Kopf schwirrt geradezu vor Verbindungen und Theorien, aber meine Gewohnheit, eine Idee zu verfolgen, bis ich zu glauben beginne, dass sie der Wahrheit entspricht, hat mich schon einmal in Schwierigkeiten gebracht – und ich darf den Fehler nicht wiederholen, den ich mit Henry Howard gemacht hatte. Trotzdem kehren meine Gedanken immer wieder zu diesem Morgen zurück – zu Dumas’ Fast-Geständnis und Maries plötzlichem Auftauchen. Marie . Der Eifer, mit dem sie für die Sache des Herzogs von Guise eintritt, ihre Skrupellosigkeit, die Vertrautheit zwischen ihr und Courcelles. Wenn Marie Dumas in meiner Kammer belauscht hatte, bevor sie anklopfte, wenn sie sich vor dem fürchtete, was er eventuell beichten könnte – was könnte das bedeuten? Dass sie hinter dem Diebstahl des Rings steckte? Dumas hatte bei ihrem Anblick sichtlich erschrocken gewirkt, wiewohl ich das der peinlichen Situation zugeschrieben hatte, in die sie uns gebracht hat. Indes, wie ich gestern Abend erfahren habe, war Dumas an seinem Todestag vor seinem Besuch bei Throckmorton auch in Arundel House. Was mochte er dort in seinem aufgelösten Zustand gesagt haben, das ausgereicht hat, um jemandem Angst vor seiner lockeren Zunge einzujagen?
Der Gedanke an Arundel House bringt mir augenblicklich die Ereignisse der letzten Nacht zurück, die ich über den Schock von Dumas’ Tod vorübergehend vergessen hatte. Ich fahre mir mit der Hand über die Stirn, und meine Knie drohen unter einer plötzlichen Welle der Erschöpfung nachzugeben, sodass ich mich mit einer Hand am Tisch abstützen muss.
»Alles in Ordnung, Bruno?« Castelnau tritt einen Schritt auf mich zu und streckt mir eine Hand hin. »Ihr solltet ins Haus gehen. Ich werde die Diener anweisen, Badewasser für Euch zu erhitzen.«
Ich reibe mir verlegen über das Gesicht, als ich
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