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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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öffnet es weiter, und ich schwinge mich auf das Fensterbrett, bevor ich mich durch die Lücke zwänge und wie ein Sack nasser Wäsche auf dem Boden lande. Castelnau hebt die Lampe und starrt mich wortlos und ungläubig an, als ich mich aufrappele. Erst hier, in diesem Raum, wird mir bewusst, dass ich nach Themseschlamm stinke. Der Botschafter tritt einen Schritt zurück. Endlich schüttelt er den Kopf.
    »Ich kannte Philosophen in Paris. Es waren stille Männer mit staubigen Bärten, die sich in ihren Büchern vergruben. Sie fielen nicht in den frühen Morgenstunden mit Blut und Dreck bedeckt durch Fenster. Ich spüre, dass es in Eurem Leben Abgründe gibt, die ich noch nicht einmal ansatzweise verstehe, Bruno. Was klebt Euch denn da im Gesicht? Es sieht aus wie Ruß.« Er klingt nicht anklagend, sondern mitleidig. »Ich dachte, Ihr wärt in Arundel House geblieben?«
    »Auf dem Rückweg bin ich in den Fluss gefallen«, keuche ich und schlinge die Arme um die Brust, als ich erneut von einem heftigen Zittern geschüttelt werde. »Ich kann es erklären …«
    »Vorher werdet Ihr erfrieren – hier, zieht Eure Kleider aus und das hier an.« Er streift seinen schweren wollenen Schlafrock ab, den er um die Schultern trägt. Darunter ist er immer noch in Hemd und Hose, offenbar hat er noch nicht einmal vorgegeben, zu Bett zu gehen. »Stellt Euch ans Feuer.«
    Er hält mir das Gewand hin und bedeutet mir mit einem Nicken, mich zu beeilen. In einiger Verlegenheit lege ich meine schmutzigen, nassen Kleider ab und lasse sie achtlos fallen. Mein Dolch landet klirrend auf dem Boden, ich hebe ihn hastig auf und lege ihn auf die Kante seines Schreibtischs. Erst als ich mir das Hemd über den Kopf ziehe, spüre ich das nasse Papier auf meiner Brust kleben. Castelnau verfolgt neugierig, wie ich es von meiner Haut löse und von mir abhalte. Wieder gleicht mein Herz einem schweren Stein. Die Tinte ist bis zur Unkenntlichkeit verschmiert. Ich fluche laut auf Italienisch und kämpfe gegen Tränen der Wut ob meines neuerlichen Versagens an. Zum zweiten Mal habe ich ein wichtiges Beweisstück verloren, das für Walsingham von unschätzbarem Wert gewesen wäre.
    »Etwas Wertvolles, nehme ich an?«, fragt Castelnau, als ich mit den Papieren hilflos durch die Luft wedele. Als ich keine Antwort gebe, führt er mich fürsorglich zum Kamin, in dem die Überreste eines Feuers leise verglühen. Er nimmt mir den Papierbogen aus der Hand und breitet ihn vor dem Kamin auf dem Boden aus, aber ich sehe schon, dass keine Chance mehr besteht zu beweisen, dass einst ein von Henry Howard eigenhändig erstellter illegitimer Stammbaum darauf geprangt hatte. Ich kann Walsingham nur berichten, dass ein solches Dokument existiert hat; ich werde diese Information so schnell wie möglich an Fowler weiterleiten müssen. Unter Umständen bereitet er sich ja schon darauf vor, Walsingham beim ersten Tageslicht aufzusuchen, um ihm von den Invasionsplänen und der Liste katholischer Lords und sicherer Häfen zu erzählen und ihn davon in Kenntnis zu setzen, dass ich mittels einer List über Nacht in Arundel House geblieben bin. Walsingham wird auf weitere Beweise lauern, und wieder muss ich ihn enttäuschen.
    Die ersten Vögel stimmen draußen vor dem Fenster ihren Gesang an. Der Botschafter wickelt seinen schönen Schlafrock um meinen mit Schlamm und Ruß verschmierten Körper und tritt zu seinem Schreibtisch, um mir aus einer Karaffe die letzten Tropfen Wein einzuschenken. Ich vermute, dass er den Rest in den langen schlaflosen Stunden selbst getrunken hat. Behutsam umfasse ich das Glas mit beiden Händen und bemühe mich, trotz meines Zitterns nichts zu verschütten, während Castelnau neben mir vor der glühenden Asche stehen bleibt. Wieder stößt er einen tiefen Seufzer aus, der besagt, dass die Last der ganzen Welt auf seinen Schultern ruht.
    »Es gibt schlechte Neuigkeiten, Bruno.« Er spricht, ohne mich dabei anzusehen, und ehe er die nächsten Worte über die Lippen bringt, weiß ich, was er mir mitteilen wird. »Léon ist tot.«
    Ich beiße mir auf die Lippe. Ein Teil von mir hatte damit gerechnet, seit Dumas gestern nicht zurückgekehrt war, aber ich habe versucht, mir einzureden, dafür könne es auch eine andere Erklärung geben. Wenn uns nur Marie nicht unterbrochen oder ich mir mehr Mühe gegeben hätte, ihm die Geschichte mit dem Ring zu entlocken, wenn ich doch nur seine Ängste ernst genommen und sie nicht auf sein nervöses Naturell geschoben

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