Frevel: Roman (German Edition)
Schmerzen hinter meinen Au gen toben. Ich habe unruhig bis nach der Essenszeit geschlafen und nach dem Aufwachen einen Krug Bier und etwas Brot vor der Tür vorgefunden, vermutlich eine aufmerksame Geste Castelnaus. Nachdem ich mir in einer Wanne heißen Wassers, die mir einer der Küchenjungen gebracht hat, die Schichten von Ruß und Themseschlamm abgewaschen hatte, waren zahlreiche Schnittwunden und farbenprächtige Prellungen zum Vorschein gekommen. Anschließend hatte ich mich hingelegt, mein erschöpfter Körper hat freilich meine widersprüchlichen Gedanken mit in den Schlaf hinübergenommen. Der Schock, Dumas ermordet vorzufinden, hat mich meine eigene missliche Lage zeitweilig vergessen lassen. Henry Howard wird nicht eher ruhen, bis er mich zum Schweigen gebracht hat.
»Gerüchte reisen wie Merkur mit geflügelten Sandalen«, hatte er am Abend des Mordes an Abigail Morley bei dem Konzert in Whitehall zu mir gesagt. Merkur, der Götterbote. War das ein Teil seiner kryptischen Warnung oder ein bloßer Zufall? Jetzt liegt unser eigener Bote Dumas tot mit dem in seine Brust eingeritzten Zeichen des Merkur in einem der Nebengebäude. Mein einziger Schutz besteht in Howards Furcht um seinen Ruf und sein öffentliches Ansehen. Nun, da ich ihn der Gelegenheit beraubt habe, mich zu töten und es wie einen Unfall aussehen zu lassen, wird er sich – hoffentlich – hüten, etwas zu tun, das einen Skandal auslösen oder meinen Tod mit ihm in Verbindung bringen könnte. Innerhalb der Mauern von Salisbury Court müsste ich sicher sein, aber ich zweifle nicht daran, dass es, wenn ich auf Londons Straßen hinaustrete, nur noch eine Frage der Zeit ist, bis ich als Nächster mit einem Strick um den Hals in irgendeiner Gasse enden werde. Ich könnte Castelnau von Howards Drohung erzählen, doch was kann der Botschafter schon unternehmen? Er fürchtet sich schon jetzt davor, sich Howard zum Feind zu machen und ihn in Mendozas Arme zu treiben. Ich sollte Fowler eine Botschaft schicken, ihm von der Ahnentafel berichten und Walsingham durch ihn von Howards Mordabsichten in Kenntnis setzen – in diesem Punkt aber fühle ich mich hin und her gerissen, weil ich den instinktiven Drang verspüre, das Geheimnis von Howards Kapelle zu bewahren. Wenn Arundel House durchsucht würde, käme seine Experimentiererei mit Magie sicherlich ans Licht, und das Buch des Hermes würde von den Behörden beschlagnahmt werden, die es in ihrer Ignoranz vielleicht zerstören würden. Solange es sich in Henry Howards Händen befindet, weiß ich wenigstens, dass es sicher ist, selbst dann, wenn es für mich zurzeit unerreichbar ist – obwohl wir in Howards Augen Todfeinde sind, verbindet uns paradoxerweise dieses Geheimnis und das gemeinsame Verlangen, dieses Buch zu besitzen. Ich schließe die Augen und rufe mir das Gefühl seiner steifen Seiten und des rauen Ledereinbands unter den Fingerspitzen ins Gedächtnis, und der Schmerz des Verlusts trifft mich wie ein Schlag. Hätten wir nur ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Verfügung, würden Dee und ich den Code des Hermes entschlüsseln können, daran besteht für mich kein Zweifel. Es geht nur darum, das Buch irgendwie in die Finger zu bekommen. Angenommen, Fowler hat Walsingham bereits über das Treffen des vergangenen Abends Bericht erstattet – ja, das wird sicherlich der Fall sein –, brütet der Staatssekretär wahrscheinlich bereits über eine Möglichkeit nach, Arundel House offiziell durchsuchen zu lassen. Ich kann nur hoffen, dass Henry Howard, der um dieses Buches willen beträchtliche Risiken eingegangen ist und der es vierzehn Jahre lang behütet hat, über genug Verstand verfügt, um es vor Walsinghams Schergen zu beschützen.
Endlich meine ich, aufstehen und etwas unternehmen zu müssen. Ich ziehe saubere Hosen an, fahre mit den Fingern durch mein feuchtes Haar und betrachte mich im Spiegel neben dem Bett: Meine Schläfenwunde heilt gut, aber mein Bart ist zerzaust, und meinen müden Augen kommt es vor, als wäre ich in den vergangenen wenigen Tagen um Jahre gealtert. Immer noch wird mein Haaransatz von einer hartnäckigen Schmutzschicht verunziert. Ich gieße etwas Wasser aus dem Krug, der auf dem Tisch bei meinem Fenster steht, in eine flache Schüssel und reinige meine Zähne mit Salz und Wasser. Nun ja, denke ich, wenn Marie wirklich ein ernsthaftes Interesse an mir hätte, würde sie sich an Resten von Themseschlamm nicht stören. Jetzt ist die Zeit gekommen, sie auf die Probe
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