Frevel: Roman (German Edition)
zu stellen. Sie ist nicht die Einzige, die ihren Körper einzusetzen vermag, um anderen Informationen zu entlocken.
Im Haus herrscht Stille, als ich die Galerie im ersten Stock durchquere. Meine Schritte hallen von dem dunklen Holz wider. Jeden Moment rechne ich damit, einem der Dienstboten oder gar Courcelles zu begegnen, der die Gabe besitzt, überall dort aufzutauchen, wo ich bin, und sein verächtlichstes Gesicht zur Schau zu tragen. Aber alles bleibt ruhig, und ich erreiche den rückwärtigen Korridor des ersten Stockwerks, wo die Kammern von Marie und ihrer Tochter liegen, ohne aufgehalten zu werden. Hinter einer geschlossenen Tür gegenüber der Treppe höre ich das Geplapper eines kleinen Mädchens, das von der ernsteren Stimme einer Frau unterbrochen wird. Sie klingt nicht wie die Maries. Ihre Kammer muss sich also hinter der zweiten Tür befinden. Sollte sie nicht da sein, umso besser, dann kann ich ihren Raum durchsuchen und hätte eine Entschuldigung parat, sollte sie mich dabei ertappen. Nach einem tiefen Atemzug klopfe ich an.
» Entrez .«
Marie sitzt mit einer Schreibfeder in der Hand an einem kleinen Schreibtisch am Fenster, blickt auf, und als sie mich auf der Schwelle erkennt, huscht ein verwirrter Ausdruck über ihr Gesicht, als wäre ich ein Schauspieler, der in der falschen Szene auf der Bühne erschienen ist. Doch sie fasst sich rasch und gibt mir ein Zeichen, die Tür zu schließen.
»Bruno.« Sie erhebt sich und streicht ihren Rock glatt. Sie trägt ein Kleid aus blassgoldener Seide, dessen Mieder mit Perlenknöpfen bestickt ist. Ihr Haar fällt ihr offen auf die Schultern. Das Licht betont die Linie ihrer Wangenknochen, als sie auf mich zutritt. Ich mahne mich, dass ich dies alles ja nur tue, um einen Mörder zu überführen und dass diese Frau sogar hinter den Mordfällen stecken könnte.
»Ihr habt die schrecklichen Neuigkeiten von dem Sekretär wohl schon gehört?« Diesmal bleibt sie ein paar Schritte vor mir stehen. Mein unerwarteter Besuch bringt sie sichtlich in Verlegenheit, was ich hoffentlich zu meinem Vorteil nutzen kann.
»Dumas. Ja. Ich – ich kann es kaum glauben.« Ich zwicke mich mit Daumen und Zeigefinger in den Nasenrücken und senke den Blick. Soll sie doch denken, ich könne meiner Emotionen kaum Herr werden, ich habe öfter die Erfahrung gemacht, dass sich Frauen über jede Gelegenheit freuen, die Seelenqualen eines Mannes zu lindern.
»Man vergisst so leicht, wie gefährlich diese Stadt ist.« Sie erschauert leicht. »Vor allem für Katholiken. Armer – Dumas, so hieß er doch? Und wie geht es Euch heute? Ihr dürftet ziemliche Kopfschmerzen haben.« Sie lacht nervös und schielt zur Tür.
»Allerdings. Ich wollte mich für mein Benehmen gestern Abend entschuldigen …«, beginne ich, dabei berühre ich flüchtig meine Schläfe.
»Ach, macht Euch doch nichts daraus. Es war so amüsant, den Earl of Arundel so schockiert zu sehen. Er ist wirklich ein unerträglicher Tugendbold.« Sie schiebt die Unterlippe vor, und diesmal klingt ihr Lachen entspannter. »Für einen Trinker habe ich Euch freilich nicht gehalten.«
»Normalerweise trinke ich auch nicht viel.« Ich lasse den Blick – hoffentlich unauffällig – durch den Raum schweifen. An der gegenüberliegenden Wand steht ein Bett mit weißen, zugezogenen Vorhängen, daneben ein mit Schminktiegeln, Pinseln und Glasfläschchen übersäter Toilettentisch, auf dem ein gegen die Wand gelehnter Spiegel steht. Wenn jemand auf der Suche nach einer Parfümflasche wäre, um sie mit Gift zu füllen, würde er hier fündig werden. Auf dem kleinen Schreibtisch am Fenster sind mit ihrer säuberlichen Handschrift bedeckte Papierbögen verstreut, mit denen sie beschäftigt war, als ich sie unterbrochen habe. Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihr Gesicht. »So etwas ist gar nicht meine Art, aber es gibt viel, was mich belastet. Verzeiht mir bitte.«
Endlich scheint sie milder gestimmt zu sein, sie kommt näher und legt mir eine Hand auf den Arm.
»Da gibt es nichts zu verzeihen. Wir alle tragen in diesen Tagen eine schwere Last – es steht so viel auf dem Spiel. Nicht nur unser Leben, falls wir scheitern, sondern die Zukunft des Christentums. Wir dürfen nicht vergessen, dass es das ist, wofür wir kämpfen.« Sie blickt mit großen, bedeutungsvollen Augen zu mir auf. »Wir müssen alle versuchen, stark zu bleiben. Wir sind so wenige – zerstritten werden wir keinen Erfolg haben.«
Ich nicke nachdrücklich,
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