Frevel: Roman (German Edition)
Rechtfertigung überflüssig.
»Ich könnte Euch ebenso fragen, was Euch in ihre Privatgemächer führt«, erwidere ich stattdessen betont lässig, während ich mich nach meinem Hemd bücke.
»Soeben ist ein Brief von Lord Henry Howard für sie eingetroffen.« Er schwenkt den zusammengefalteten Papierbogen durch die Luft.
»Spielt Ihr jetzt den Boten? Solltet Ihr Euch nicht um die Beerdigung des armen Dumas kümmern?«
Das scheint ihn aus seiner Erstarrung zu reißen, er stapft auf mich zu und sticht mir einen Finger fast ins Gesicht.
»Ihr glaubt, Ihr kommt mit allem davon, nicht wahr? Ihr erschleicht Euch jedermanns Vertrauen, Ihr habt keinen Respekt vor Rang und Position, und Ihr denkt, Ihr könnt Euren Weg machen, ohne einen Gedanken an mögliche Konsequenzen zu verschwenden – und das alles nur, weil Ihr den König von Frankreich zum Lachen zu bringen vermögt!«
»Oh, hört auf – ich werde ja gleich rot.«
»Was meint Ihr wohl, wie der Botschafter hierauf reagieren wird, Bruno?«, zischt er, bohrt den Finger in meine unbedeckte Brust und beugt sich zu mir, bis mir sein Gesicht fast so nah ist wie das von Marie kurz zuvor. »Nachdem er Euch so viel Vertrauen geschenkt hat! Es würde mich nicht wundern, wenn er Euch unverzüglich nach Frankreich zurückschickt. Dann soll Euch der König nur vor dem beschützen, was dort kommen wird – wenn er dazu imstande ist!«
»Und was genau wird dort kommen, Claude?«, hake ich nach, weiterhin um einen lockeren Ton bemüht. »Irgendetwas, wovon König Henri wissen sollte? Oder der Botschafter? Vielleicht irgendeine Art Staatsstreich? Ich bin sicher, dass Ihr als loyaler Untertan alles weitergeben würdet, was Ihr wisst, um Euren Herrscher zu schützen. Oder gilt Eure Loyalität jetzt anderen?« Ich streife mir das Hemd über den Kopf und fixiere ihn mit einem durchdringenden Blick. Zu meiner Befriedigung schlägt er als Erster die Augen nieder. Ich spähe über seine Schulter und sehe Marie mit vor der Brust verschränkten Armen und zu einem weißen Strich zusammengepressten Lippen im Türrahmen stehen.
»Wenn mein Mann ein Wort hiervon erfährt, werdet ihr euch beide auf dem nächsten Schiff nach Frankreich wiederfinden, und zwar mit einem solchen Schandfleck auf eurem Ruf, dass ihr niemals wieder am französischen Hof aufgenommen werdet.« Sie deutet auf jeden von uns. »Haben wir uns verstanden?«
»Marie – ich habe nichts getan! Ich bin hergekommen, um Euch dies hier zu bringen, und fand ihn in dieser Kammer vor.« Courcelles hält ihr gekränkt den Brief hin. Sie misst ihn mit einem langen, tadelnden Blick.
»Seid ehrlich, Claude. In diesem Haus müssen wir einander vertrauen können.« Ihr Blick wandert von ihm zu mir, und mir wird klar, dass Courcelles mit diesem Raum und diesem Bett vertraut ist. Ich beobachte Marie mit wachsendem Zorn. Sie weiß sich in der Tat die Zeit zu vertreiben. Doch am meisten ärgere ich mich über mich selbst, weil mich ein Anflug von Eifersucht durchzuckt. Gleich darauf muss ich an Castelnau und seine einsamen durchwachten Nächte denken, und mein Ärger weicht einer Welle von Schuldgefühlen.
»Wie geht es Katherine?«, frage ich.
»Sie wird bald wieder auf dem Damm sein.« Ihr Ton klingt jetzt sachlich und geschäftsmäßig, als sie nach dem Brief greift und das Siegel erbricht. Es ist ganz offenkundig, dass meine Gegenwart nicht länger erwünscht ist. »Ihr solltet jetzt besser gehen, Bruno. Und schnürt Euer Hemd zu. Wir wollen den Dienstboten keinen Anlass zu Klatsch geben.«
Courcelles wirft mir einen hasserfüllten Blick zu, als ich zur Tür gehe, meine Aufmerksamkeit gilt allerdings nur dem Brief in Maries Hand. Was könnte Howard ihr seit letzter Nacht mitzuteilen haben, das nicht mich betrifft?
»Bruno.« Sie streckt eine Hand aus. »Das Kästchen.«
Erst jetzt merke ich, dass ich noch immer die grüne Samtschatulle umklammere. Ich reiche sie ihr mit einer gemurmelten Entschuldigung. Ihre Augen werden zunächst schmal, dann erhellen sich ihre Züge wieder etwas, und sie drückt flüchtig meine Hand. »Vielleicht setzen wir ja unsere Unterhaltung bei einer anderen Gelegenheit da fort, wo wir aufgehört haben.«
Ich ziehe ihre Hand mit großer Geste an meine Lippen, um Courcelles, der kurz vor einem Wutanfall zu stehen scheint, noch mehr zu reizen. Zwar habe ich nicht alles erreicht, weswegen ich hergekommen bin, aber ich habe Maries wahre Motive aufgedeckt. Welche Rolle mag dann wohl Courcelles in diesem
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