Frevel: Roman (German Edition)
Spiel zugedacht sein?, überlege ich, als ich an der Tür stehen bleibe und er mich mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes beobachtet, der bereit ist, einen Mord zu begehen. Weiß er von dem Herzog von Guise, oder glaubt er, dass es ihm, Claude de Courcelles, bestimmt wäre, den Platz des Botschafters an Maries Seite einzunehmen, wenn die glorreiche Wiedereinführung des katholischen Glaubens vollzogen ist? Wie dem auch sei, ich spüre, dass die beiden jetzt eine geschlossene Front gegen mich bilden; sie stehen Schulter an Schulter da und warten darauf, dass ich sie allein lasse, damit sie sich mit Howards Brief befassen können. Zum wiederholten Male bin ich wütend darüber, dass sie mit mir gespielt hat – absurd eigentlich, wo ich es doch war, der in der Absicht, sie zu überlisten, zu ihrer Kammer gegangen ist. Ich sehe die beiden ein letztes Mal an, dann überlasse ich sie ihrer Ränkeschmiederei. Im Vorbeigehen kann ich in der Kinderstube das gedämpfte Weinen eines kleinen Mädchens hören.
17
London
3. Oktober im Jahr des Herrn 1583
Wieder in meiner eigenen Kammer angelangt wächst meine Unruhe bezüglich des Briefes von Henry Howard, den Courcelles und Marie jetzt gerade lesen. Er wird ihnen sicherlich nicht die ganze Wahrheit mitgeteilt haben, aber ich traue es ihm zu, irgendeine Geschichte erfunden zu haben, in der er behauptet, meinen Verrat an ihnen allen aufgedeckt zu haben und ihnen so einen Grund liefert, mich nicht aus den Augen zu lassen, bis er einen anderen Weg gefunden hat, mich zu beseitigen.
Ich würde zur Stunde alles dafür geben, Sidney sehen zu können, der mich durch einen kräftigen Schlag auf meine schmerzende Schulter aufmuntern und dann sein Schwert zücken würde, um mich zu verteidigen. Doch Sidney befindet sich Meilen entfernt in Barn Elms, und da Howards Männer nach mir suchen, würde ich nicht viel auf die Chancen wetten, Walsinghams Haus mit heiler Haut erreichen zu können. Der Wind rüttelt an den Fensterrahmen und lässt sie wie hölzerne Zähne klappern, hinter den Scheiben kann ich nur graue Wolken erkennen. Bei diesem Anblick zieht sich mein Herz zusammen, und ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass es ein Fehler war, nach England gekommen zu sein. Ich dachte, so würde ich der Verfolgung durch die Inquisition entgehen, aber seit ich auf dieser Insel gelandet bin, scheine ich nichts anderes getan zu haben, als mich auf die falsche Seite von Katholiken zu stellen, die mich töten wollen. Da hätte ich gleich in Neapel bleiben können, grübele ich düster, obwohl ich weiß, dass der Fehler bei mir liegt; niemand hat mich gezwungen, Walsinghams Angebot anzunehmen, mich in sein Informantennetz einzureihen. Ich habe zugesagt, weil ich ihn respektierte und weil ich, wie ich schon zu Fowler sagte, glaube, dass die Freiheiten, die Königin Elisabeth Leuten wie mir gewährt, es wert sind, mit allen Mitteln gegen die Tyrannei Roms verteidigt zu werden. Und – da mache ich mir nichts vor – weil ich wusste, dass diese Art, Elisabeth und ihrem Staatssekretär zu dienen, mir Belohnungen und Gunstbezeugungen einbringen würde, ohne die ein Philosoph und Schriftsteller wie ich niemals zu Ruhm gelangen könnte. Indes, jetzt fürchte ich, dass mein Leben in Gefahr ist, und zwar unabhängig davon, ob ich das Botschaftsgebäude verlasse oder nicht.
In London bin ich zum Glück nicht ganz ohne Freunde; außer Sidney steht mir noch eine andere Person etwas näher, der ich mich anvertrauen kann. Wenn es mir gelänge, St. Andrew’s Hill und Fowler zu erreichen, ohne angegriffen zu werden, könnte ich in seiner Nähe bleiben – in seiner Gesellschaft käme ich mir weniger verwundbar vor. Wieder stelle ich mir vor, wie der arme Dumas plötzlich gepackt wird, als er unten an den Docks an einer dunklen Gasse vorbeikommt, wie sich der Strick um seinen Hals schlingt, bevor er zu schreien vermag, wie er um sein Leben kämpft, ohne dass es jemand bemerkt, selbst dann nicht, als seine Gliedmaßen zu zucken aufhören und sein Körper wie ein Sack Unrat in den Fluss geworfen wird. Wenn ich diesem Schicksal lange genug entgehen könnte, um zu Fowler zu gelangen, hätte ich die Möglichkeit, seine Meinung bezüglich meiner unvollendeten Theorie einzuholen, die ich heute Morgen in meinem unruhigen Halbschlaf ausgearbeitet habe: dass Marie auf Betreiben des Herzogs von Guise hinter dem Komplott steckt, Elisabeth am Tag ihres Thronjubiläums zu vergiften. Sie war es, die Dumas bezahlt hat,
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