Frevel: Roman (German Edition)
reagiert. Zwischen den Gedanken, die mir durch den Kopf gehen, kaum dass ihre Finger über mein Schlüsselbein gleiten und beginnen, mein Hemd aufzuschnüren, schwirrt auch die Erinnerung an den Blick umher, den sie und Dumas am gestrigen Morgen in meiner Kammer gewechselt haben. Er hatte Angst vor ihr. Diese Frau – deren Zunge gerade über meine Lippen fährt und die mir jetzt das Hemd über den Kopf streift, um dabei gleichzeitig ihre Fingernägel sanft über meine Wirbelsäule streifen zu lassen – könnte diejenige gewesen sein, die in jenem Moment beschlossen hatte, ihn zum Schweigen bringen zu lassen.
Sie lässt mein Hemd zu Boden fallen und streicht mit einer Hand über meine Brust, hernach ergreift sie meine beiden Hände und führt mich zum Bett, wo sie den Vorhang zurückzieht und sich gegen mich drängt, bis ich auf der Decke liege. Sie lässt sich neben mich sinken – angesichts ihrer voluminösen Röcke ein schwieriges Manöver –, und ich schließe die Augen, als ihr Haar meine Haut streift und ich ihre Lippen auf meiner Brust sich weiter nach unten bewegen spüre, während ihre Hand geschickt die Innenseite meiner Schenkel massiert. Mein Leib ist ganz und gar lebendig, meine Gedanken jedoch kreisen weiterhin unbeeindruckt um andere Dinge, bis irgendwo außerhalb des Raums eine Frauenstimme erklingt.
»Madame?«
Marie springt wie von der Tarantel gestochen auf und bedeutet mir, die Beine in das Bett zu ziehen.
»Was gibt es, Bernadette?«
Jemand klopft an die Tür.
»Kann ich Euch sprechen, Madame? Es geht um Katherine.«
»Kann das nicht warten?«, gibt sie gereizt zurück.
»Ich fürchte, nein, Madame. Sie klagt über Fieber und Magenschmerzen.«
»Nun, ich bin kein Arzt. Sag ihr, du wirst den Bader holen – das wird ihr die Flausen austreiben.«
Auf der anderen Seite der Tür tritt eine Pause ein.
»Madame, ich glaube nicht, dass sie sich verstellt. Sie fühlt sich ganz heiß an.« Die Stimme der Gouvernante klingt gepresst. »Sie ruft nach ihrer Mutter.«
»Na schön. Einen Augenblick noch.«
Marie verdreht die Augen, steht auf und streicht ihr Kleid glatt. »Bleib hier«, formt sie mit den Lippen, anschließend zieht sie den Vorhang um mich zu. Als ich die Tür zufallen höre, bleibe ich kurz regungslos liegen, dann konzentriere ich mich unter Aufbietung all meiner Willenskraft auf die vor mir liegende Aufgabe. Ich ziehe meine Hose zurecht, husche hinüber zum Schreibtisch und überfliege die Papiere, die Marie dort zurückgelassen hat. » Mon cher Henri «, beginnt der Brief. Zuerst gehe ich davon aus, dass das Schreiben an Howard gerichtet ist, doch als ich weiterlese, stoße ich zu meiner Verwunderung auf einen Bezug auf die Übernahme der Krone Englands, gefolgt von der Erwähnung des französischen Throns. Meint sie König Henri von Frankreich? Überzeugt, etwas falsch verstanden zu haben, zwinge ich mich, genauer hinzusehen, und stelle fest, dass sie im selben Absatz von »deiner schottischen Base« schreibt, die leicht zur Seite geschoben werden kann, sowie der »Herrschaft unseres schwächlichen Königs«, dessen Tage sich ihrem Ende zuneigen. Ich spüre, wie sich mein Gesicht ungläubig verzieht, als ich dies verarbeite. Der Brief ist für Henri I., Herzog von Guise, bestimmt, und strotzt vor Intimitäten: dem Schmerz der Trennung, der großen Entfernung, Erinnerungen an Umarmungen sowie dem Wunsch, wieder vereint zu sein, sobald Gott es zulässt. Am Ende hat sie in einer Schrift, die darauf hindeutet, das es hastig verfasst wurde, ein Postskriptum hingekritzelt: »Ich weiß nicht, wann du diesen Brief erhalten wirst, denn ich kann ihn nicht auf dem üblichen Weg schicken.« Neben ihrer Unterschrift hat sie das Bild einer Rose gezeichnet.
Langsam und benommen vor Verwunderung lege ich das Schriftstück auf den Schreibtisch zurück. Dieser Invasionsplan wird von allen Beteiligten zu verschiedenen Zwecken genutzt – Marie mag ja von Einigkeit sprechen, doch während Henry Howard seine eigenen geheimen Pläne verfolgt, beabsichtigt sie, persönlichen Profit aus dem Unternehmen zu schlagen. Demzufolge steht sie mit dem Herzog von Guise, der offenbar den Thron Englands als sein rechtmäßiges Eigentum betrachtet, sowie das unbedeutende Problem des Herrscheraustauschs gelöst ist, auf vertrauterem Fuß, als ich angenommen hatte. Worauf zielt Maries Ehrgeiz letztendlich ab, frage ich mich – hofft sie darauf, dass ihr Mann vom Sturz des »schwächlichen« französischen
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