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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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Dienstboteneingang klopfen und nach ihrem Leibdiener fragen. Unter anderen Umständen hätte mich der herrische Ton der Botschaft dazu veranlasst, sie zusammenzuknüllen und fortzuwerfen, aber als ich in der Nacht im Richmond Palace mit Lady Seaton sprach, hatte ich bereits vermutet, dass sie mehr wüsste, als sie sagen wollte. Warum sie ihre Meinung plötzlich geändert hat und mich nun doch zu sehen wünscht, weiß ich nicht, und ich kann auch nicht ausschließen, dass es sich um eine Falle handelt. Jem scharrt mit den Füßen, als sei er nicht sicher, was nun von ihm erwartet wird.
    »Danke, Jem. Wann wurdest du losgeschickt?«
    »Heute Morgen, Sir. Gleich nach dem Frühstück.«
    »Fühlst du dich in der Lage, noch weitere Botengänge zu machen?«
    Er sieht mich gequält an.
    »Ich habe Hunger, Sir. Ich muss etwas essen.«
    »Ja, natürlich.«
    Ich blinzele zum Himmel empor. In dem schwachen Licht ist es unmöglich, den Stand der Sonne zu bestimmen, aber es muss schon nach drei sein. Wenn die Nachricht wirklich von Lady Seaton stammt, wird sie mich bereits erwarten. Flüchtig erwäge ich, dem Jungen einen Schilling zu geben, damit er mich durch die Stadt begleitet, entscheide mich dann jedoch dagegen. Wenn mich jemand angreifen will, wird er nicht zögern, auch Jem aus dem Weg zu schaffen, und ich darf nicht riskieren, dass noch jemand meinetwegen zu Schaden kommt. Ich greife in die Börse in meinem Wams und ziehe eine Silbermünze hervor, die er dankbar einsteckt; er läuft sogleich die Fleet Street in westlicher Richtung zurück, und ich sehe, wie mühelos er zwischen den Leuten und den Karren hindurchschlüpft. Nachdem er außer Sichtweite ist, suche ich die Straße voller Unbehagen ab, doch all die gegen den Wind fest in ihre Umhänge eingepackten Londoner, die auf dem Weg zum Lud Gate sind, gehen mit gesenkten Köpfen an mir vorbei, ohne mir Beachtung zu schenken. Dennoch spüre ich von Hauseingängen, von Seitengassen und von leeren Fenstern her die Augen der Stadt auf mir ruhen und komme mir so verwundbar vor, als würde ich nackt durch die Straßen wandern.
    Mit Lady Seatons Brief in der Hand drehe ich mich um und steuere auf das Torhaus vor mir zu, dessen Türme über der hohen Stadtmauer aufragen, aber meine Nerven sind so zum Zerreißen gespannt wie die von Dumas bei unserem letzten gemeinsamen Ausflug; bei der kleinsten Bewegung am Rand meines Blickfelds schrecke ich zusammen wie ein Hase, der meint, einen Habicht zu sehen. Ich rufe mir den Abend des Konzerts in Whitehall ins Gedächtnis, das Gespräch in Burghleys Raum, als Jem seine Geschichte erzählt hat. Er scheint mir nicht intelligent genug zu sein, um sich verstellen zu können, nichtsdestoweniger besteht die unwahrscheinliche Möglichkeit, dass er Abigail wissentlich eine falsche Botschaft ausgerichtet hatte, um sie in eine Falle zu locken, und nun von derselben Person benutzt wird, um mit mir ebenso zu verfahren. Der Mann mit dem Hut, von dem er damals gesprochen hatte – wer war er? Maries und Courcelles’ unbekannter Dritter? Aber wenn Jem gelogen hat, existiert dieser Mann vielleicht gar nicht; er könnte diesen Auftrag auch von jemandem erhalten haben, den er vom Hof her kannte und dessen Namen er nicht nennen wollte.
    Mit diesen Überlegungen beschäftigt unterquere ich das Lud Gate, zwänge mich zwischen einer Herde magerer Schafe hindurch und versuche, nicht zu den über dem zentralen Bogen aufgespießten verrotteten Leichen emporzublicken, die die Bürger von London an den Preis für Verrat erinnern sollen. Statt zum St. Andrew’s Hill hinunterzugehen, laufe ich die Cheapside entlang, die breite, mit Steinen gepflasterte Straße, die die Stadt von Osten nach Westen durchschneidet. Hier wächst meine Gewissheit, verfolgt zu werden, wenngleich ich nichts entdecken kann, was meinen Verdacht bestätigen würde – von einem in einem Hauseingang verschwindenen Umhang einmal abgesehen, und das kann ich mir auch eingebildet haben. Es ist eher so, dass ich meinen Verfolger spüre, seine Bewegungen, die sich den meinen anpassen, seine auf meinen Rücken gerichteten Augen. Die Gassen bieten zwischen den kunstvoll verzierten Fronten der Werkstätten der Goldschmiede, deren bunte Schilder wie Banner über meinem Kopf hin und her schwingen, zahlreiche Möglichkeiten, sich zu verstecken, doch wenn ich mich in der Mitte der Straße halte und Reitern und den Karren von Hausierern ausweiche, verschaffe ich mir hoffentlich genug Zeit und

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