Frevel: Roman (German Edition)
Königs mitgerissen würde und sie infolgedessen den Platz an Guises Seite einnehmen könnte? Ich kehre zum Toilettentisch zurück und greife erneut nach der grünen Samtschatulle, dabei schüttele ich immer noch den Kopf. Hinter der Fassade ihres Geredes von religiöser Reinheit und ihrer Pflicht gegenüber dem Christentum und den unsterblichen Seelen der Engländer strebt jeder der Verschwörer nach dynastischen Vorteilen. Ihr könnt sicher sein, dass Mendoza und der spanische König euch ihre Mittel auch nicht aus bloßer Frömmigkeit zur Verfügung stellen, denke ich, während ich das Kästchen in den Händen drehe; sollte diese Invasion tatsächlich stattfinden, werden sie England zwischen sich zerreißen wie Straßenköter ein Stück Fleisch. Elisabeth Tudor wird fraglos zu den Opfern zählen – genauso ist es wiederum denkbar, dass Maria Stuarts glorreiche Rückkehr auf den Thron rasch in ein böses Schicksal umschlagen könnte, falls die falsche Partei die Oberhand gewinnt und die aufrechten, vernünftigen Männer des Kronrats – Walsingham, Burghley, Leicester – alle vernichtet würden. Diese kleine Insel mit ihren seltsamen Sitten und den wenigen kostbaren Freiheiten, die sie solchen bietet, die sich wie ich Rom zum Feind gemacht haben, wird in ein Chaos gestürzt werden, gegen das die ganzen Weltuntergangsszenarien der Pennypamphlete sich wie Kindermärchen ausnehmen – und wer außer den Mächten Frankreichs oder Spaniens, die die Unterstützung des Papstes genießen, könnte die Ordnung wiederherstellen?
Die grüne Schatulle verrät mir nichts. Ich bin kein Juwelenexperte, daher kann ich auch nicht sagen, ob sie Maria Stuart gehört und über Dumas ihren Weg zu Marie gefunden hat oder ob sie ein ganz gewöhnliches Behältnis ist. Doch beim Gedanken an Dumas halte ich plötzlich inne und sehe Maries hastiges Postskriptum in einem neuen Licht. Sie kann den Brief nicht auf dem gewöhnlichen Weg schicken – war damit Dumas gemeint? Wenn Guise ihr Liebhaber ist, könnte sie ihm ihre Briefe nicht über die Botschaft zukommen lassen, sie brauchte einen anderen Boten, einen geheimen Weg, Briefe nach Frankreich zu senden. Guise verfügt in England über eigene Agenten und Abgesandte – er führt sich schon so auf, als wäre er der Anwärter auf den Thron –, und Dumas, der ständig mit Briefen für Throckmorton und der offiziellen Botschaftskorrespondenz unterwegs war, könnte leicht ein paar Botschaften mehr befördert haben. Wie mir nur zu gut bekannt ist, war er mehr als bereit, sich ein paar zusätzliche Münzen zu verdienen – was ihn vielleicht das Leben gekostet hat. Dachte Marie, er hätte mir ihr Geheimnis anvertraut? Ich kenne den Herzog von Guise von seinen Auftritten an König Henris Hof im letzten Jahr her, als ich in Paris lebte. Er ist ein gut aussehender Mann Anfang dreißig mit einem auffälligen Lockenschopf und einer ziemlich hoffärtigen Art. Der französische König schien sich in seiner Gegenwart immer eingeschüchtert zu fühlen – man kann sich leicht vorstellen, welchen Eindruck er im Vergleich mit diesem charismatischen Führer macht, der Frankreich fehlt – besonders auf eine Frau wie Marie. Ich betrachte meinen eigenen nackten Oberkörper im Spiegel, frage mich unwillkürlich, ob sie mit Guise dasselbe tut, was sie mit mir gemacht hätte, hätte die Gouvernante uns nicht unterbrochen, und schäme mich für den Anflug von Bedauern, der in mir aufsteigt.
Als der Türknauf gedreht wird, blicke ich mich erwartungsvoll um, aber statt Marie steht Courcelles mit einem Papierbogen in der Hand auf der Schwelle. Er zwinkert heftig, mustert mich von Kopf bis Fuß, blickt zum Bett und setzt mehrere Male zum Sprechen an, bevor er einige Worte herausbringt.
»Was …? Wo ist sie?«
»Ihre Tochter wurde plötzlich krank.«
Er späht zur Tür und dann wieder zu mir, als könne er nicht glauben, was er mit seinen eigenen Augen sieht. Dann lässt er das Papier sinken.
»Und Ihr … sie …« Er winkt mit der Hand vage in Richtung des Bettes. Ich muss angesichts seiner offensichtlichen Fassungslosigkeit einen Lachreiz unterdrücken und frage mich, ob gleichfalls Courcelles ihr Liebhaber ist und sie sich mit ihm vergnügt, während sie zugleich intrigante Liebesbriefe an Guise schreibt. Sein Verhalten zeugt jedenfalls von einer sehr persönlichen hilflosen Wut. Ich zucke nur die Achseln und hebe eine Braue; mein halb bekleideter Zustand und meine unübersehbare Erregung machen jegliche
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