Frevel: Roman (German Edition)
ist.«
»Vielleicht. Habt Ihr mit irgendjemandem über diese Dinge gesprochen?«
Sie beißt sich auf die Lippe und senkt den Blick, schüttelt dann aber nachdrücklich den Kopf. Wieder habe ich den Eindruck, dass sie etwas verschweigt.
»Ich hätte es fast getan, als sie Sir Edward verhafteten, aber ich konnte doch nicht selbst zu Lord Burghley gehen. Außerdem habe ich mich an das erinnert, was Ihr gesagt habt. Wenn der Mörder zum Hof gehört, könnte er wissen, dass Cecily meine Freundin war, nicht wahr? Und daher könnte er denken, sie hätte mir ihre Geheimnisse anvertraut, und könnte demnach auch mich zum Schweigen bringen wollen, ist es nicht so?« Sie hebt ihr Gesicht zu mir empor. Im schwachen Licht sehe ich, wie blass sie ist und dass ihre Lippen zittern, obwohl sie versucht, dagegen anzukämpfen.
»Ihr habt den Mut aufgebracht, mir Cecilys Sachen zu bringen – dafür danke ich Euch. Ich bezweifle nicht, dass sie uns Hinweise auf den Mörder geben werden.« Ich lege die Hände auf ihre schmalen Schultern, um sie zu beruhigen. »Und was die Gefahr angeht … ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es dem Mörder, wenn es nicht Sir Edward ist, sehr gelegen kommt, dass ein anderer Mann für den Schuldigen gehalten wird, und er es deshalb vorzieht, sich im Verborgenen zu halten. Warum sollte er riskieren, durch einen weiteren Anschlag die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, wenn er die Chance hat, ungestraft davonzukommen?«
»Ich nehme an, das hängt davon ab, warum er Cecily überhaupt getötet hat«, gibt sie zu bedenken. »Ich meine, ein Mann kann eine Frau umbringen, weil sie ein Kind von ihm erwartet und er sie nicht heiraten will – so etwas hört man öfter. Doch das, was er mit ihrem Leichnam angestellt hat«, sie erschauert, »sagt mir, dass es einen anderen Grund geben muss. Was, wenn er sie getötet hat, weil sie etwas wusste, das sie nicht wissen durfte? Würde er dann nicht auch ihre Freundinnen aus dem Weg räumen wollen – nur für den Fall, dass sie ihnen etwas anvertraut hat?«
Als ich in ihr ernstes Gesicht blicke, komme ich zu dem Schluss, dass ich Abigail Morley unterschätzt habe. In genau diese Richtung sind auch meine eigenen Gedanken gegangen; ich habe mich sogar gefragt, ob Lady Seatons abweisendes Verhalten wirklich nur auf der Furcht vor saftigem Klatsch beruht hat oder ob etwas anderes dahintersteckte. Sacht drücke ich die Schultern des Mädchens.
»Warum sagt Ihr das? Hat Cecily Euch Grund zu der Annahme gegeben, dass sie gefährliche Geheimnisse hütete?«
»Nein, es ist nur …« Sie zaudert und blickt sich ängstlich um. »Seit sie diesen Mann kennen gelernt hat, hat sie begonnen, viel über Prophezeiungen zu sprechen.«
»Was für Prophezeiungen?«
»Oh, Ihr wisst schon, diese Vorhersagen, die es wie Sand am Meer gibt – dass die Tage der Königin gezählt sind und England vor dem Untergang steht und so weiter. So etwas hört man heutzutage an jeder Straßenecke.«
»Ich habe zufällig auch gerade eine gehört, von einer alten Vettel: ›When hempe is spun, England’s done.‹«
Abigail nickt heftig.
»Das ist einer der Lieblingssprüche der Diener im Palast. Ihr wisst natürlich, was er bedeutet?« Sie senkt die Stimme. »Er spielt auf die Tudor-Linie an. Hempe steht für Henry, Edward, Maria, Philip und Elisabeth. Die alten Käuze zitieren ihn, um Englands Ende zu prophezeien, wenn der letzte Tudor stirbt. Cecily kannte Dutzende solcher Aussprüche.«
»Aber sie zeigte erst seit kurzem Interesse an diesen Dingen?«
»Seit ungefähr einem Monat. Ich habe mich gefragt, was für Flausen ihr dieser Mann in den Kopf setzt. Cecily, sagte ich, einiges von dem, was du da von dir gibst, könnte als Verrat ausgelegt werden. Dennoch lachte sie nur, als kümmere sie das überhaupt nicht, und meinte, alle würden solche Sprüche im Mund führen.«
»Hat sie religiöse Fragen erwähnt? Oder gesagt, wen sie selbst gern auf dem Thron sehen würde?«
»Nein, nichts dergleichen. Es war mehr ein persönlicher Groll«, fügt Abigail hinzu, dann schlägt sie eine Hand vor den Mund. »Ich weiß nicht, ob ich Euch das erzählen soll …«
»Abigail.« Ich sehe ihr fest in die Augen. »Es wäre gut, wenn Ihr mir alles sagen würdet, was wichtig sein könnte. Warum hegte Cecily einen Groll gegen die Königin?«
»Als sie letztes Jahr an den Hof kam«, flüstert Abigail und rückt näher an mich heran, als sich eine Gruppe von Jungen in Lehrlingskluft unter Einsatz der
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