Frevel: Roman (German Edition)
unwahrscheinlich es klingt – ja.«
»Was studiert dieser Mann?«
»Die Gedächtniskunst. Ich habe sie König Henri in Paris gelehrt.«
»Oh.« Sie denkt kurz darüber nach. »Warum dann diese Ge heimnistuerei?«
»Weil eine ganze Reihe von Ignoranten behauptet, meine Gedächtnistechniken hätten etwas mit okkulten Wissenschaften zu tun. Ich nehme an, er will einfach nur Vorsicht walten lassen. Obwohl ich Euch versichern kann, dass an diesen Gerüchten kein Fünkchen Wahrheit ist«, füge ich hastig hinzu.
Sie sieht mich weiterhin mit schief gelegtem Kopf an, als könne sie mein Wesen so besser erfassen.
»Na schön, Bruno«, sagt sie endlich. »Ich bestehe darauf, ebenfalls Privatstunden bei Euch zu nehmen. Ich möchte Euer System erlernen. Über die Bezahlung könnt Ihr mit meinem Mann sprechen – auch wenn er zu dem Schluss kommen könnte, Kost und Logis seien Lohn genug, und die bekommt Ihr ja bereits.«
»Madame, ich bin mir nicht sicher, ob …«
»Seid nicht langweilig, Bruno. Es wäre perfekt – es ist ja nicht so, als wärt Ihr noch anderswo angestellt, und ich muss mir irgendwie die Zeit vertreiben, während Katherine bei ihrer Gouvernante ist. Außerdem ist mein Gedächtnis entsetzlich schlecht. Ich bin Euch nachgegangen, um Euch etwas zu sagen, und jetzt habe ich vergessen, was es war. Seht Ihr, wie dringend ich Euren Unterricht brauche?« Sie lächelt mit hochgezogenen Brauen zu mir empor, es wirkt unschuldig und wissend zugleich. Um meiner Verlegenheit Herr zu werden strecke ich eine Hand aus, um den Hund zu streicheln, und sie tut dasselbe, mit dem Ergebnis, dass ihre Hand leicht über die meine streicht. Ich ziehe meine Hand zurück, als hätte ich mich verbrannt, woraufhin sie errötend den Blick senkt. Gütiger Himmel, denke ich, die Vorstellung, mich allein mit ihr in einem Raum aufzuhalten und versuchen zu müssen, ihr irgendetwas beizubringen, ist beängstigender als alle Aufgaben, die Walsingham mir je übertragen könnte. Doch ich tröste mich mit dem Gedanken, dass Castelnau dazu nie seine Zustimmung geben würde.
»Wo wollt Ihr eigentlich so eilig hin?«
»Oh – nur in meine Kammer. Mir sind während meines Spaziergangs eine oder zwei Ideen gekommen, die ich aufschreiben will, bevor sie sich wieder in Luft auflösen.«
Sie lacht ihr melodisches Lachen. »Ihr seid keine sehr gute Empfehlung für Eure eigenen Gedächtnistechniken, Bruno.«
»Ich habe Euch gewarnt.«
»Oh, ich lasse mich nicht leicht von etwas abbringen, das ich mir in den Kopf gesetzt habe. Mir tut nur Euer junger Student leid – ich hoffe, er vergeudet sein Geld nicht. Wie heißt er denn?«
Ich zögere nur den Bruchteil eines Atemzugs lang, trotzdem entgeht es ihr nicht.
»Ned. Ned Kelley. Nun, Madame, ich muss …« Ich deute auf die Tür am anderen Ende der Galerie. Es ist ein schöner Raum, der entlang der gesamten Vorderfront des Hauses verläuft. Zu beiden Seiten sind hohe Fenster in die Wände eingelassen. Sonnenlicht tanzt über die dunkle Täfelung, Staubwölkchen wirbeln flirrend auf. Dasselbe Licht fällt seitlich auf Maries Gesicht, und ich verspüre plötzlich den Drang, ihre Wange zu berühren – nicht allein aus körperlicher Begierde heraus, sondern nur, um zu sehen, ob ihre Haut sich so weich anfühlt, wie sie aussieht. Geschwind trete ich einen Schritt zurück und wende mich zum Gehen, doch sie hält mich am Ärmel zurück.
»Jetzt fällt es mir wieder ein. Der Botschafter möchte Euch in seinem Arbeitszimmer sprechen – er fragt schon den ganzen Morgen nach Euch, aber niemand wusste, wo Ihr wart.« Sie bringt den letzten Satz wie eine Anklage hervor.
»Dann werde ich gleich zu ihm gehen.« Ich spüre den Druck des Beutels unter meinem Wams. »Allerdings muss ich erst mein Hemd wechseln.«
Sie betrachtet skeptisch meinen Kragen.
»Wenn Ihr bei ihm seid, sagt ihm gleich, dass ich in Euren geheimen magischen Künsten unterwiesen werden möchte.«
»Madame, egal was in Paris geredet wird, Magie ist dabei nicht im Spiel …«, beginne ich aufgebracht, doch dann bemerke ich ihr koboldhaftes Lächeln.
»Oje, Bruno, es ist allzu leicht, Euch zu foppen. Ich glaube, der Unterricht bei Euch wird mir viel Spaß machen.«
Ich antworte mit einer knappen Verbeugung und lasse sie mit ihren glitzernden Juwelen in dem Lichtstrahl stehen. Sie lacht noch immer leise in sich hinein.
Als ich den Samtbeutel öffne, kommen die Gegenstände zum Vorschein, die Abigail bereits erwähnt hatte: ein goldener
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