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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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Angelegenheit.« Er hebt die fein gezeichneten Brauen; offenbar erwartet er eine Erklärung meinerseits.
    »Dann sollte ich besser mit ihm sprechen«, erwidere ich obenhin, obwohl sich mein Pulsschlag beschleunigt. Ich denke zuerst an Walsingham, dann an Sidney, dann an Dee. Jeder von ihnen könnte sich dringend mit mir in Verbindung setzen wollen, aber Walsingham würde sicher nicht Verdacht erregen wollen, indem er eine offensichtlich geheime Botschaft direkt nach Salisbury Court schickt, und Sidney befindet sich, soweit ich weiß, noch immer auf Hochzeitsreise. Bleibt Dee, und mein Magen krampft sich zusammen – hat Ned Kelley ihm etwa etwas angetan?
    Courcelles presst die Lippen zusammen und deutet in Richtung der Ställe an der Seite des Hauses. Dort finde ich einen mageren, ungefähr zwölfjährigen Jungen vor, der mit unglücklichem Gesicht auf einem Strohballen hockt und an seinen Fingernägeln herumzupft, während die Stallburschen ihn auf Französisch verhöhnen. Er sieht aus, als wäre er in eine Rauferei verwickelt gewesen.
    »Ich bin Bruno. Du hast etwas für mich?«
    Er springt wie von der Tarantel gestochen auf und zieht einen zerknitterten Brief aus seiner Jacke. Der Junge trägt keine Livree, ist aber nicht ärmlich gekleidet. Er winkt mich näher zu sich und überreicht mir den Brief so verstohlen, als enthielte er geheime Informationen.
    »Von Abigail Morley.« Seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. »Sie sagte, ich dürfe ihn nur Euch aushändigen, Sir, trotzdem haben sie versucht, ihn mir abzunehmen.« Er misst die Stalljungen, die sich vor Unbehagen winden, mit einem giftigen Blick.
    »Du hast deine Sache gut gemacht.« Ich gebe ihm eine Münze für seine Mühe und führe ihn zum Seitentor hinaus, ehe ich an einer schattigen Stelle stehen bleibe, fern von neugierigen Augen, um den Brief zu öffnen. Er ist in einer eleganten, schwungvollen Handschrift verfasst. Abigail bittet mich, sie morgen um elf Uhr früh am Holbeintor von Whitehall zu treffen. Sie schreibt, dass sie Angst hat.

5
    Whitehall Palace, London
    28. September im Jahr des Herrn 1583
    Wieder ist der Morgen warm und der Himmel wolkenlos. Ich fahre mit einem Kahn flussaufwärts und steige an der Westminstertreppe aus, der dem Palast am nächsten gelegenen öffentlichen Anlegestelle. Die Themse fließt breit und ruhig dahin, das Sonnenlicht spiegelt sich funkelnd darin, und dort, wo die Brise die Oberfläche kräuselt, tanzen weiße Gischtwölkchen auf dem Wasser. Ich lehne mich im Boot zurück, während der Ruderer sich einen Weg durch die Flotte kleiner Schiffe bahnt, die Waren und Passagiere den Fluss hinauf oder hinunter oder zu den Docks im Osten befördern.
    Von der Anlegestelle aus gehe ich die King Street hoch, an den Palastmauern vorbei, bis ich das Holbeintor erreiche, ein imposantes Bauwerk, das die aus London in Richtung Westen herausführende Hauptstraße überspannt und an den Privatgemächerkomplex und die Audienzsäle von Whitehall und zur anderen Seite an den Turnierplatz und den St. James’s Park grenzt. Das dreistöckige Torhaus aus roten Ziegeln und weißem Stein mit einem achteckigen Turm im englischen Stil in jeder Ecke und großen Räumen über dem Haupttorbogen wird von Angehörigen der Palastgarde bewacht und wimmelt stets von Menschen – alle Reisenden in beide Richtungen müssen hier durchgeschleust werden. Abigail hat den Treffpunkt klug gewählt, in einer Menge fällt man oft am wenigsten auf.
    Irgendwo in der Nähe schlägt eine Kirchenglocke zur elften Stunde, und ich warte zögernd an der Passage durch den Ostturm des Torhauses, der Fußgängern vorbehalten ist. Durch den mittleren Torweg rollen von Pferden oder Maultieren gezogene Karren, die große Staubwolken aufwirbeln – Händler bringen ihre Waren in den Palast oder in die Stadt. Mit Bündeln oder Packen beladene Menschen zwängen sich an mir vorbei, sodass ich mich gegen die Mauer pressen muss. Plötzlich streckt mir eine alte, zahnlose Frau eine schmutzige Hand hin und bittet um Geld oder Essen, und ich weiche erschrocken zurück. Aus Erfahrung weiß ich, dass sich sofort hundert weitere Bettler auf mich stürzen würden, wenn ich nach einem Penny greife, aber aus ihrem Gesicht schreit nachgerade die Verzweiflung, dass ich es nicht über mich bringe, ihr ein Almosen zu verweigern. Sie krümmt die Finger mit den geschwollenen Gelenken um die Münze, die ich ihr in die Hand drücke, packt meine Jacke und zieht mich zu sich heran.
    »When

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