Frevel: Roman (German Edition)
Ellbogen an uns vorbeidrängelt, »hatte sie daheim einen Verehrer, einen Mann, den sie kannte, seit sie ein Kind war. Er kam in der Hoffnung, sie zu treffen, nach London, doch als Lady Seaton davon erfuhr, erzählte sie es der Königin, und der junge Mann wurde fortgeschickt. Cecily wurde verboten, ihm je wieder zu schreiben. Er war nicht von hoher Geburt, versteht Ihr? Sie vergaß ihn dann auch ziemlich schnell, verzieh der Königin ihre Einmischung dagegen nie. Und sie hatte Angst, mit dem neuen Mann könnte es ihr ebenso ergehen.« Ihre Augen schießen hin und her. »Weil er für sie von zu hoher Geburt war.«
Ich kann nicht anders, als laut aufzulachen.
»Ich wusste nicht, dass Liebe dem Standesdünkel unterliegt. Müsst Ihr alle so genau darauf achten, dass Euer zukünftiger Mann rangmäßig nicht zu weit über oder unter Euch steht?«
Sie kichert, klingt einen Moment lang völlig unbeschwert.
»Ich mag meinen Ehemann nicht aus Liebe wählen dürfen, aber ich werde verdammt genau darauf achten, mir meine Liebhaber sorgfältig auszusuchen. Nun? Warum seht Ihr mich so schockiert an?«, fügt sie zur Antwort auf meinen Gesichtsausdruck hinzu, der sie erneut zum Kichern reizt. »Kein Grund, sich so prüde zu geben, selbst wenn Ihr früher ein Mönch wart.«
»Wollt ihr den ganzen Tag hier im Weg stehen?«, knurrt ein stämmiger Mann in einem derb gewebten Kittel, während er an uns vorbeitrampelt und Abigail so hart anrempelt, dass sie gleich in meine Arme stolpert, als ich versuche, sie aufzufangen. Sowie sie das Gleichgewicht wiedererlangt hat, klopft sie ihren Umhang ab – noch immer leicht verdutzt. Wir sehen uns kurz an und wenden dann rasch den Blick voneinander ab.
»Ich sollte jetzt besser …« Sie deutet auf die Palastmauern.
»Ja. Aber seid vorsichtig, Abigail. Achtet darauf, nicht alleine im Palast umherzugehen. Irgendwer am Hof weiß, wer Cecily getötet hat und warum, und Ihr habt Recht – er könnte Euch beobachten. Traut nicht jedem.«
»Nach dieser Sache weiß ich nicht, wem ich überhaupt noch trauen soll.« Sie lacht, ein nervöses, schrilles Geräusch, und nestelt an den Schnüren ihres Umhangs herum. »Ich meine, woher soll ich eigentlich wissen, ob ich Euch trauen kann?«
»Das könnt Ihr, Abigail, obwohl ich Euch nur mein Wort darauf geben kann.« Mit einem etwas festeren Griff fasse ich sie an den Schultern und zwinge sie so, mir in die Augen zu sehen. Sie mustert mich einen Moment lang forschend, und schließlich nickt sie.
»Ja – es ist seltsam, denn all die anderen Frauen sagen, man soll ausländischen Männern nie über den Weg trauen, schon gar nicht denen aus Spanien oder Italien. Aber ich spüre, dass mir von Euch keine Gefahr droht. Werdet Ihr es mich wissen lassen, wenn Ihr etwas Neues herausfindet? Es würde mir helfen, mich sicherer zu fühlen.«
Ich will es ihr gerade versprechen, als zwei junge Gecken in aufgebauschtem Satin sich grob an uns vorbeidrängen und Abigail diesmal unsanft gegen die Wand stoßen.
»Heda! Könnt ihr nicht aufpassen!«, rufe ich ihnen nach. Der kleinere der beiden, der eine scharlachrote Kappe mit einer Pfauenfeder trägt, dreht sich um, als er meinen Akzent hört.
»Hast du mit mir geredet, du spanischer Hurensohn?« Er bleibt stehen, spuckt auf den Boden und macht Anstalten, auf uns zuzukommen, sein Freund hält ihn jedoch zurück, und nach einem letzten giftigen Blick setzen sie ihren Weg fort.
»Schwachköpfe«, murmele ich, obwohl ich froh bin, dass es nicht zu einem Handgemenge auf offener Straße gekommen ist. »Ich danke Euch für Euer Vertrauen. Und, Abigail – Ihr müsst mir unbedingt Bescheid geben, wenn Ihr Euch noch an etwas anderes erinnert, das Cecily Euch erzählt hat. Es könnte von elementarer Bedeutung sein.«
Obschon ich mit sanfter Stimme spreche, versteht sie, worauf ich anspiele: Ich glaube, dass sie etwas zurückhält, irgendeinen Hinweis auf die Identität von Cecilys Liebhaber – entweder aus Angst oder aus falsch verstandener Loyalität. Sie lächelt zögernd, und da wird mir bewusst, dass meine Hände immer noch auf ihren Schultern ruhen. Wieder kreuzen sich unsere Blicke, diesmal einen Moment zu lange. Flüchtig spiele ich mit dem absurden Gedanken, sie, wenn all dies vorbei ist, um ein neuerliches Treffen zu bitten. Irgendetwas in ihren erwartungsvollen Augen löst in mir die Frage aus, ob sie gerade dasselbe gedacht hat. Man kann mich schwerlich als die gute Partie betrachten, die ihrem Vater für sie
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