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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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Jahren, direkt nach der Hinrichtung seines Bruders – er stand damals ungefähr in Eurem Alter. Ein erschreckend intelligenter junger Mann, das war er, und er hatte auf seinen Reisen Philosophen und Weise getroffen, die ihm die Schriften des Hermes Trismegistos gezeigt haben. Er wollte darin unterwiesen werden.«
    »Und Ihr habt Euch einverstanden erklärt?«
    »Er war ein talentierter Schüler und zahlte äußerst großzügig, vielleicht deshalb, weil niemand erfahren sollte, dass er zu mir kam. Aber …« Dee hebt bedauernd die Hände. »Die großen Geheimnisse antiker Philosophie müssen mit Demut angegangen werden. Ich merkte bald, dass Henry Howards Ehrgeiz seine Weisheit bei weitem übertraf.«
    »Wie meint Ihr das?«
    »Er entwickelte geradezu eine Besessenheit von Hermes’ verloren gegangenem Buch. Ah, ich sehe, Ihr lächelt, Bruno. Haben wir das nicht gleichfalls getan – das denkt Ihr doch gerade, nicht wahr? Jedoch frage ich Euch jetzt – was enthält dieses fünfzehnte Buch Eurer Meinung nach denn?«
    »Das weiß niemand mit Sicherheit«, gebe ich zurück. »Darin besteht ja sein unwiderstehlicher Reiz. Wir wissen nur, dass der große Philosoph und Astrologe Marsilio Ficino sich geweigert hat, es für Cosimo de’ Medici zu übersetzen, weil er sich vor den Folgen für das Christentum fürchtete.«
    »Ganz genau. Weil man glaubt, das verloren gegangene Buch enthüllt das Mysterium der Göttlichkeit des Menschen. Es ist der Gipfel hermetischer Magie.«
    »Es heißt, es gäbe das Geheimnis preis, gottgleich zu werden«, flüstere ich, dabei entsteht das Bild von Howards scharfem Gesicht und seinen Raubvogelaugen vor mir.
    »Indes, wo Ihr und ich verstehen, dass dies durch Aufklärung und Gnosis geschieht, war Howards Auslegung weitaus prosaischer.« Dee beugt sich mit einem bedeutsamen Nicken vor. »Das hatte mir Sorge bereitet.«
    »Was meint Ihr damit?«
    »Howard strebte nicht nach göttlichem Wissen.« Er dämpft die Stimme. »Sondern nach göttlicher Unsterblichkeit.«
    Wir verstummen und sehen uns einen Augenblick lang an. Zweimal mache ich Anstalten, etwas zu sagen, doch jedes Mal hält mich etwas in Dees ernstem Blick davon ab. Sein Glaube an Magie – wenn wir damit die Welt meinen, die jenseits der Grenzen unseres heutigen Wissens und unserer Philosophie liegt – ist einfacher gestrickt und vertrauensvoller als mein eigener. Wenn das Universum unendlich ist, wovon ich überzeugt bin, dann muss es eine unendliche Anzahl von Möglichkeiten beinhalten, die wir noch nicht entdeckt haben; je länger ich allerdings darüber nachdenke, desto stärker wird die Skepsis, die ich den Behauptungen von Alchemisten und Scharlatanen sowie ganz besonders denjenigen Männern entgegenbringe, die von dem hinteren Teil eines Karrens aus einer gutgläubigen Menge Gedankenlesertricks vorführen. Kann ein Mensch tatsächlich unsterblich werden? Und kann ein Buch den Schlüssel enthalten, der diese Tür öffnet? Um verloren gegangene Bücher ranken sich immer Gerüchte und Mythologien; da sie nicht mehr verfügbar sind, werden ihnen besondere Kräfte zugeschrieben. Aber der Reiz der Unsterblichkeit – ich kann mir vorstellen, wie er einen Mann wie Henry Howard in seinen Bann schlagen muss.
    »Was ist dann geschehen?«
    Dee saugt seine Wangen ein.
    »Es ging nicht nur um das Hermes-Buch. Mir wurde allmählich klar, dass Howards Interesse an Magie mehr auf Machtstreben als auf Wissensdurst beruhte.«
    »Führt das eine nicht zum anderen?«, gebe ich mit einem Lächeln zu bedenken.
    »Ja, bei denen, die klug genug sind, beides mit Vernunft einzusetzen, hingegen nicht in der grob vereinfachenden Weise, die ihm vorschwebte. Vergesst nicht, dass sein älterer Bruder kurz zuvor hingerichtet worden war – die Howards hatten den größten Teil ihrer Ländereien und Titel verloren. Er suchte nach Wegen, sich durch Kontrolle und Manipulation wieder nach oben zu kämpfen. Ich entdeckte in ihm eine Skrupellosigkeit, die mir Unbehagen einflößte. Am Ende sagte ich ihm, ich könne ihn nicht länger unterrichten.«
    »Was er vermutlich übel vermerkt hat.«
    »Allerdings. Die Howards hassen es, wenn man ihnen einen Strich durch die Rechnung macht. Erst bot er mir mehr Geld an. Als ich mich immer noch weigerte, drohte er mir.«
    »Mit Gewalt?«
    Dee zupft wiederum an seinem Bart und dreht den Kopf zum Fenster. Seine Augen blicken kummervoll.
    »Nicht mit etwas Primitivem. Er sagte einfach nur, er würde mich vernichten. Er würde

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