Frevel: Roman (German Edition)
Kontinente überquert hat, um sie zu finden; Bücher, die ihn ein Jahreseinkommen gekostet haben; Bücher, die in kostbares braunes Kalbsleder gebunden und mit Messingklammern versehen sind; Bücher, die ihn in anderen Ländern auf den Scheiterhaufen gebracht hätten. Hier findet man De Occulta Philosophia von Cornelius Agrippa von Nettesheim, das Liber Experimentorum des Mystikers Ramon Hull, Burgos Abhandlung über Magie , die Schriften des Nikolaus Kopernikus und Abt Trithemius’ Studien der Kryptografie; man kann, wenn das Thema einen interessiert, Bücher über Mathematik, Metallurgie, Theologie, Botanik, Nautik, Musik, Astronomie, die Gezeiten, Rhetorik oder jeden anderen Wissenszweig finden, über den jemals etwas zu Papier gebracht worden ist. In einer Ecke des Raums steht ein Paar in Messingständern angebrachter bemalter Globen, einer zeigt die Erde, der andere das Firmament. Sie sind ein Geschenk des großen Kartografen Gerard Mercator. In einer anderen Ecke bewahrt er einen fünf Fuß hohen Quadranten und andere, selbst konstruierte Geräte zur Bestimmung der Planetenbewegungen auf.
Hinter dieser höhlenähnlichen Bibliothek mit der gewölbten Holzdecke, in der man oft vom Reisen erschöpfte Gelehrte und Schriftsteller antrifft, die das Meer überquert haben oder tagelang geritten sind, um sich Einblick in Bücher zu verschaffen, von denen Dee die einzige bekannte Kopie besitzt, liegen die inneren Räume, zu denen nur seine engsten Freunde und Kollegen Zugang haben: sein Alchemielabor und sein privates Studierzimmer, sein Heiligtum.
»Irgendeine Art Gift, meint Ihr?«, murmelt Dee, der sich über einen der Arbeitstische in seinem Laboratorium beugt. Er hält die gläserne Parfümflasche in den Schein einer Öllampe, die an einem Haken über ihm hängt, sodass ihre Facetten Lichtfragmente reflektieren, als er sie neugierig in den Händen dreht. Draußen ist es hell, die letzte Wärme des Sommers erfüllt die Luft, aber in diesem Raum sind die Fensterläden stets geschlossen. In Dees Laboratorium kommt man sich gefangen vor wie im Bauch eines riesigen Tiers. Das liegt an der Dunkelheit, der Hitze mehrerer ständig brennender Feuer und dem Umstand, dass der Raum ein pulsierendes Eigenleben zu führen scheint: Sechs Destillierapparate mit damit verbundenen Gefäßen und Fläschchen aus Ton, Glas oder Kupfer blubbern und dampfen unaufhörlich vor sich hin, als würden sie sich angeregt miteinander unterhalten. Dampfwolken steigen zur Decke empor und fließen als feuchte Rinnsale an den Wänden mit der abblätternden Farbe hinunter. Heute hängt ein unangenehmer Geruch im Raum, ein fauliger Stallgestank.
»Ach, das.« Dee lacht schelmisch wie ein kleiner Junge, als er mich die Nase rümpfen sieht. »Mein neuestes Experiment. Ich versuche, Pferdemist zu destillieren.«
»Zu welchem Zweck?«
»Das weiß ich erst, wenn ich sehe, was dabei herauskommt. So …«
Er zieht den Stopfen aus der Parfümflasche und schnuppert mit der erfahrenen Nase eines Weinhändlers, der einen neuen Wein prüft, an der Flüssigkeit. Ich wundere mich, dass er trotz des brodelnden Pferdemists etwas riechen kann.
»Hm. Sie haben es mit Rosenwasser gemischt. Aber Ihr habt Recht – es enthält noch etwas anderes. Eine Art Säure. Zeigt mir noch einmal Euren Finger.«
Er zieht meine Hand in das Licht. Obwohl die Röte verblasst ist, hat sich dort, wo ich mit dem Parfüm in Berührung gekommen war, eine kleine Blase gebildet. Dee nickt nachdenklich. »Viele gewöhnliche Pflanzen und Beeren können diese Wirkung haben, wenn der Saft konzentriert wird. Könnte unangenehm werden, wenn er wie Parfüm auf zarte Haut getupft wird. Ein ziemlich boshafter Trick, nicht viel mehr.«
»Und wenn jemand es trinken würde? Könnte es giftig sein?«
Er runzelt die Stirn. »Das kommt darauf an, was die Grundsubstanz ist. Indes, wie sollte der Absender darauf kommen, dass das Mädchen das Parfüm trinken könnte?«
»Vielleicht war es gar nicht für das Mädchen bestimmt.«
»Warum sollte überhaupt irgendjemand Parfüm trinken?«
»Das würde niemand tun, es sei denn, er wüsste nicht, dass es seinem Essen oder Trinken beigemischt wurde. Was einfach wäre, wenn ich jeden Tag mit dem Betreffenden in Kontakt käme.«
Dees Augen weiten sich, und er starrt mich an, als er begreift, worauf ich hinauswill. »Die Königin?« Seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. »Ihr meint, das Mädchen hätte vorgehabt, die Königin zu vergiften?«
»Ich
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