Frevel: Roman (German Edition)
Glasaugen einer ausgestopften Kreatur.
»Interessant.« Dee nickt, als würde ihn das Ergebnis zufriedenstellen. Sein Kopf berührt fast den meinen, als wir uns darüberbeugen. »Die Substanz hat schnell gewirkt – hier, seht, sie hat ihren Magen durch beide Körperöffnungen entleert. Ich muss gestehen, dass ich von Eurer Theorie nicht überzeugt war, Bruno, aber es sieht aus, als hättet Ihr Recht gehabt.«
»Was für ein Mittel könnte diese Wirkung haben?« Ich nehme die Maus genauer in Augenschein, halb hoffend, als Lebenszeichen sie noch zucken oder sich verkrampfen zu sehen.
»Schwer zu sagen. Eibe vielleicht oder Gemeine Schmerwurz, beides ist zu dieser Jahreszeit leicht zu bekommen, und daraus lässt sich mühelos ein Extrakt herstellen.«
»Würde es bei einem Menschen genauso wirken?«
»Nicht so schnell, vor allem dann nicht, wenn es mit Rosenwasser versetzt ist. Doch wenn die Dosis groß genug ist, dürften dieselben Symptome auftreten. Es hat eindeutig eine stark abführende Wirkung. Ich werde das Tier aufschneiden und mir die Innereien genauer ansehen, indessen wird mir heute dazu keine mehr Zeit bleiben, bevor ich gehe. Aber, Bruno«, er dreht sich mit vor aufkeimender Furcht geweiteten Augen zu mir um, »falls Euer Verdacht zutrifft, muss die Königin unverzüglich gewarnt werden.«
»Nein!« Das kommt schärfer heraus als beabsichtigt. »Ich meine – wir wissen ja nur mit Sicherheit, dass einer der Hofdamen der Königin Gift in einer Parfümflasche übergeben wurde. Dieses Mädchen ist jetzt tot, und wir wissen nicht, wer es ihr gegeben hat und warum. Bis wir Beweise haben, sollte die Königin nicht beunruhigt und der Hof nicht in Aufruhr versetzt werden. Sie wird ja bereits so gut geschützt wie möglich. Außerdem«, füge ich hinzu, »könnte die Person, die mir das Parfüm gebracht hat, kompromittiert werden.«
»Ihr versteht nicht, Bruno.« Er fasst mich bei den Schultern und schüttelt mich leicht. »Neds Vision, die rothaarige Frau, ihr Ende … es passt alles. Ich fürchte, Ihre Majestät schwebt in furchtbarer Gefahr.«
Es widerstrebt mir, die nächste Frage zu stellen, aber ich weiß, dass es unumgänglich ist. »Welches Ende nahm denn diese Vision?«
»Nachdem sie ihre Brust mit dem in die Haut eingeritzten Saturnzeichen entblößt hatte, hielt sie Buch und Schlüssel in die Höhe und öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, doch ehe sie ein Wort hervorbringen konnte, durchbohrte ein Schwert ihr Herz, und dann wurde sie von einem reißenden Strom fortgeschwemmt.« Der Griff von Dees Händen verstärkt sich, und seine Augen forschen verzweifelt in den meinen. Er hofft eindeutig auf eine beruhigende Erklärung meinerseits.
»Einen gewissen Sinn für Dramatik kann man ihm jedenfalls nicht absprechen. Wo steckt Kelley übrigens?« Ich blicke mich suchend in dem Laboratorium um, so als hielte ich es für möglich, dass sich der Seher hinter einem der größeren Destillierapparate verschanzt hält.
»Oh, ich habe ihn seit gestern Abend nicht mehr gesehen. Die Vision hat ihn so erschüttert, dass er für eine Weile fortgehen musste, um sich zu erholen.« Ihm entgeht nicht, dass meine Augen schmal werden. »Das hat er schon öfter getan, Bruno. Wenn ihn die Séancen zu sehr angestrengt haben, verschwindet er für ein paar Tage, und anschließend kommt er frisch und ausgeruht zurück.«
»Wahrhaftig – das Ganze muss stark an seinen Kräften zehren.« Ich runzele die Stirn. »Und er erzählt Euch nie, wohin er geht?«
»Ich frage nie.«
Jetzt bin ich es, der ihm die Hände auf die Schultern legt; wir verharren in dieser halben Umarmung, während ich in seine bekümmerten grauen Augen blicke – die so voller Weisheit sind und doch in mancher Hinsicht so blind.
»Erzählt der Königin unter keinen Umständen heute Abend von dieser Vision«, sage ich so sanft, als würde ich ein Kind ermahnen. »Sollte ihr wirklich etwas zustoßen, würde man behaupten, Ihr hättet es dank der Macht des Teufels vorhergesehen, und in dem wesentlich wahrscheinlicheren Fall, dass nichts passiert, würdet Ihr als falscher Prophet beschimpft werden, der um nichts besser ist als die Verfasser dieser Flugschriften. Ich gebe nicht vor, Kelleys Beweggründe zu verstehen, immerhin täten wir beileibe gut daran, uns auf das zu konzentrieren, was wir über die realen Gefahren wissen, die der Königin drohen …«, ich nicke zu der Parfümflasche auf dem Arbeitstisch hinüber, »… und nicht auf das, was
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