Frevel: Roman (German Edition)
seinem Schreibtisch und hält eine Ausgabe derselben Flugschrift mit den kühn auf die Vorderseite gedruckten Zeichen des Jupiters und des Saturns in die Höhe, die ich gestern für einen Penny auf dem Kirchhof von St. Paul’s erstanden hatte. »Francis wollte mich warnen«, fährt er ruhig fort. »Seit dem Mord an dem Mädchen ist die ganze Welt verrückt geworden – alle reden nur noch von Prophezeiungen und der Apokalypse, von Feurigen Trigonen und Großen Konjunktionen. Dieses Zeug hier«, er schlägt mit dem Handrücken gegen das Schriftstück, »schürt die Angst und die Unruhe der einfachen Leute noch, und es wird massenhaft in Umlauf gebracht. Der Kronrat ist der Meinung, dass das Ganze aus dem Ruder läuft und schleunigst abgestellt werden muss.« Er seufzt und legt das Machwerk mit der Vorderseite nach unten auf den Tisch.
»Damit habt Ihr doch nichts zu tun.«
»Ganz recht. Ich bin nur der Mittelsmann.« Mit einer Geste, die demütige Bescheidenheit ausdrücken soll, spreizt er die Hände. »Wie man hört, spricht Lord Burghley bereits davon, ein neues Gesetz zu erlassen, das es verbietet, das Horoskop der Königin zu stellen. Er meint, das würde den ständigen Vorhersagen ihres drohenden Todes ein Ende setzen. Ich für meinen Teil glaube nicht, dass er auf diese Weise etwas erreicht – schon jetzt muss ein Mann damit rechnen, seine Hand zu verlieren, wenn er solchen Schmutz verfasst, und trotzdem wird der gedruckt und Narren lesen ihn.«
Dee lässt sich schwer auf seinen Stuhl sinken, lehnt sich weit nach vorne, faltet die Hände wie zum Gebet und starrt derart eindringlich ins Leere, als sähe er dort jemanden, der versuchen würde, ihm etwas zu sagen. Ich nehme in mitfühlendem Schweigen dieselbe Haltung ein, denn mir ist klar, in welch misslicher Lage er sich befindet. Armer Dee: Wenn es gegen das Gesetz verstößt, der Königin das Horoskop zu stellen, wird er seine Stellung als Hofastrologe verlieren, und die Gunst Ihrer Majestät ist fast seine einzige Einkommensquelle. Er hat für eine Frau und zwei kleine Kinder zu sorgen, von diesem Tagedieb Ned Kelley, der sich in Dees Haus eingenistet hat, ganz zu schweigen. Dazu kommt, dass Alchemie und das Sammeln von Büchern keine billigen Vergnügen sind. Er ist auf regelmäßige Einkünfte angewiesen, um seine Experimente finanzieren und seine Bibliothek erhalten zu können, und er braucht den Schutz der Königin vor denen, die gegen ihn hetzen.
»Dahinter steckt Henry Howard«, murrt Dee düster, als habe er meine Gedanken gelesen. »Er wird nicht ruhen, bis er erreicht hat, dass ich in Ungnade falle und vom Hof verbannt werde.«
»Henry Howard?« Ich sehe ihn verwundert an. »Hat er denn etwas mit diesen Pamphleten zu tun?«
»Nein, er ist derjenige, der gegen sie wettert!«, entfährt es Dee. Er springt von seinem Stuhl auf, tritt erneut an seinen Schreibtisch, greift nach einem kleinen, in Leder gebundenen Buch und hält es wie ein Beweisstück in die Höhe. »Er verdammt alle Formen von Wissen, die zu begreifen ihm der Verstand fehlt, er faselt vom Anrufen von Dämonen, er behauptet, es wäre die Nachsicht der Königin Astrologen wie mir gegenüber, die dazu geführt hat, dass Propheten und Wahrsager überall im Land Furcht und Unglauben säen. Niemand am Hof wagt es, eine von diesem Buch abweichende Meinung zu äußern. Aber dass ausgerechnet Henry Howard sich zum Vertreter von Sachlichkeit und Vernunft aufschwingt! Hört Euch das an, Bruno.« Er blättert ein paar Seiten um, räuspert sich und beginnt laut zu lesen. »›Gewisse Wichtigtuer im Reich lenken Menschen mit Zeichnungen, illustrierten Büchern und Figuren wilder Bestien von ihren Pflichten ab und erwecken falsche Hoffnungen in ihnen.‹ Damit meint er natürlich mich. Oder hier: ›Der Abschaum der Narrheit, der Auswurf des Stolzes, der Schiffbruch der Ehre und das Gift der Verderbtheit.‹ Alles zielt auf mich, und ich könnte Euch noch mehr Beispiele nennen.«
Ehe er seine Drohung wahrmachen kann, greife ich rasch nach dem Buch. Der Titel ist in Gold in den Einband eingestanzt: Eine Abhandlung gegen das Gift vermeintlicher Prophezeiungen. »Warum hasst Henry Howard Euch so?«
Dee setzt sich wieder und faltet die Hände.
»Er war einst mein Schüler«, erwidert er mit einem Anflug von Traurigkeit. »Er kam heimlich zu mir, hungerte nach der Art von Wissen, von dem Ihr und ich uns im Klaren sind, dass es in den falschen Händen sehr gefährlich sein kann. Das war vor zehn
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