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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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bringt uns das der Lösung des Problems nicht näher.«
    »Ich dachte, das wäre Euer Problem?«
    »Ich fürchte, es ist weitaus komplizierter. Gestern …«, er zögert, blickt zur Tür, »… hatte Ned Kelley eine furchtbare Vision. Er meinte, die Geister hätten ihm Einblick in das gewährt, was kommen wird, und ich muss entscheiden, ob ich die Königin warne oder nicht.«
    Am liebsten möchte ich ihn anfahren, er solle sich nicht wie ein Narr benehmen, denn mein Zynismus in Bezug auf Ned Kelley schnürt meine Brust wie ein Eisenring zusammen, aber Dees Augen haben sich geweitet, und seine Lippen zittern leicht. Ich neige mich zu ihm hin.
    »Sprecht weiter.«
    Er holt tief Atem.
    »In dem Kristall erschien Ned, ähnlich wie bei der Séance, der Ihr beigewohnt habt, ein Geist in Gestalt einer rothaarigen Frau in einem weißen Gewand, auf das die Symbole der Planeten und Tierkreiszeichen aufgestickt waren. In der rechten Hand hielt sie ein Buch und in der linken einen goldenen Schlüssel.«
    Kelleys Geister halten immer ein Buch in der Hand, denke ich. Vermutlich ist seine Fantasie allmählich erschöpft. »Diese Gestalt kenne ich nicht«, sage ich kurz, obwohl ich in dem Moment, wo er eine rothaarige Frau erwähnt hat, sofort an Abigail Morley denken musste.
    »Das ist noch nicht alles. Sie sprach kein Wort, schnürte aber in der Vision ihr Mieder auf und öffnete es für ihn …«
    »Vermutlich konnte sie es kaum erwarten«, schnaube ich.
    »Spottet nicht, Bruno«, tadelt er gekränkt. »Wartet, bis Ihr alles gehört habt. Sie hatte ein mit Blut gemaltes Symbol auf der Brust …«
    »War es zufällig das Zeichen des Jupiters?« Ich kann den Sarkasmus in meiner Stimme nicht verbergen, doch Dee sieht mich nur verwundert an.
    »Großer Gott, nein, Ihr seid freilich nah daran. Es war das Zeichen des Saturns. Wie um alles in der Welt konntet Ihr das wissen?«
    Ich springe zornig auf, gehe zum Fenster und funkele ihn an.
    »Dieses Detail hat er dem Mord am Hof entnommen! Kommt schon, John – der Mann ist ein Scharlatan! Er spielt auf Euch wie auf einer Harfe, seht Ihr das denn nicht?«
    »Aber Ned kommt nie in die Nähe des Hofes und dieser Kreise. Woher sollte er solche Einzelheiten wissen?«
    »Es ist das Gesprächsthema von ganz London!«, belle ich gereizt. »Er muss nur einen Fuß aus der Tür setzen, und schon kann er die Leute auf der Straße darüber klatschen hören. Er hat einen dieser Handzettel in die Finger bekommen, die schauerlichen Beschreibungen gelesen und gedacht, das wäre doch ein hübsches Bild für seine nächste erfundene Vision. Lasst Euch davon doch nicht den Schlaf rauben, um Himmels willen!«
    »Schon gut, Bruno.« Er wirkt plötzlich erschöpft. »Ich weiß, dass Ihr Ned nicht mögt, gleichwohl – er ist wirklich ein begnadeter Seher, und Ihr beleidigt mich, wenn Ihr etwas anderes behauptet. Er spricht mit den Geistern in ihrer eigenen himmlischen Sprache. Ich habe es selbst gehört.«
    »Er ist ein Verbrecher! Habt Ihr seine Ohren nicht gesehen? So bestraft man Falschmünzer, nicht wahr? Und wenn er Münzen fälschen kann, kann er dies sicherlich auch mit Visionen und Sprachen!«
    »Ned hat ein hartes Leben geführt und Fehler gemacht, aber das gehört alles der Vergangenheit an. Er ist jetzt ein ehrlicher Mann, Bruno. Es steht uns nicht zu, über ihn zu urteilen.«
    Entnervt fahre ich mir mit den Händen durch mein Haar – mit ihm ist in diesem Punkt einfach nicht zu reden. »Beim Blut Christi, John! Man hat doch das Recht, sich ein Urteil über einen Mann zu bilden, den man bei sich aufgenommen hat und den man durchfüttert! Ihr habt ein zu weiches Herz.«
    Dee lächelt nachsichtig. »Und das aus dem Mund eines Mannes, der keiner Maus etwas zuleide tun kann.«
    Wir starren uns an, als uns mit einem Mal die Maus wieder einfällt. Dee eilt von seinem Stuhl, aus dem er sich überraschend schnell erhoben hat, bis in das Laboratorium zurück. Sein Gewand weht hinter ihm her. Ich folge ihm dicht auf den Fersen. Zwischen den leise blubbernden Destillierapparaten ist die Luft feuchter, der Gestank beißender geworden. Der Raum riecht wie ein Bauernhof während eines Sommerunwetters.
    Dee klappt den Deckel der Holzkiste auf und hält sie in den Schein der Lampe. Die Maus liegt reglos darin, die winzigen Pfoten zeigen zur Seite. Um ihren Schwanz herum hat sich eine wässrige Kotpfütze gebildet, eine ähnliche rötliche umgibt ihren Kopf. Ihre Augen quellen so unnatürlich hervor wie die

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