Frevel: Roman (German Edition)
Kontakt aufnehmen und sie vor dem warnen kann, was Dee in der Parfümphiole entdeckt hat. Und sie vielleicht noch einmal bedrängen, ihr Gedächtnis zu durchforsten. Ich bin davon überzeugt, dass ihr noch etwas einfällt. Der Schlüssel zu diesem Rätsel liegt im Herzen von Elisabeths Hof, in seinen innersten Kammern, und nun habe ich die Chance, diesem Heiligtum wenigstens einen Schritt näher zu kommen.
7
Whitehall Palace, London
30. September im Jahr des Herrn 1583
Zu beiden Seiten der Stufen brennen Leuchten, obwohl die Abenddämmerung noch nicht hereingebrochen ist. Die Sonne steht tief über dem Westen der Stadt und wirft bernsteinfarbenes Licht über das Wasser. Leichtfüßig steigt Marie zu dem Boot hinunter. Um die Schultern hat sie sich einen kurzen Umhang aus weißem Pelz geschlungen, darunter trägt sie ein Abendgewand aus grüner Seide. Eine Hand ruht leicht auf dem Arm ihres Mannes, während sie von der letzten Stufe in die Barke hüpft; ihr klares Lachen hallt durch die Luft, als sie beinahe das Gleichgewicht verliert und die Hand eines der Ruderer ergreifen muss, um sich abzustützen. Sie wirkt heute Abend ausgelassen, sprüht vor guter Laune – die Aussicht auf einen Abend bei Hof erfüllt sie mit freudiger Erregung. Wenig erstaunlich, denke ich, sie ist eine schöne Frau, der immer noch der Abglanz der Jugend anhaftet und die nichts mehr liebt, als bewundert zu werden, wozu es in Salisbury Court wenig Gelegenheit gibt. Kein Wunder, dass sie ihren Charme an mir und Courcelles erprobt. Der Sekretär des Botschafters gesellt sich jetzt zu mir und beobachtet, wie Castelnau und seine Frau in der Botschaftsbarke Platz nehmen, die uns flussaufwärts nach Whitehall bringen wird. Er trägt einen auffälligen dunkelroten Anzug, und als die schon herbstliche Kühle mit sich bringende Abendbrise ihm das feine blonde Haar aus der Stirn weht, fällt mir einmal mehr auf, wie gut er aussieht, obschon sein voller Mund, sein fast bartloses Kinn und sein ständiges lakonisches Schmollen ihn etwas zu feminin wirken lassen. Er blickt von der Seite flüchtig zu mir und dann wieder zum Fluss.«
»Schön, dass Ihr Euch die Mühe gemacht habt, Euch dem Anlass entsprechend zu kleiden, Bruno«, murmelt er. Ich trage ein gut geschnittenes Wams und Hosen aus feiner schwarzer Wolle, so wie jeden Abend.
»Meiner Erfahrung nach ist es nicht ratsam, bei derartigen Gelegenheiten den Damen Konkurrenz zu machen«, gebe ich freundlich zurück, falte die Hände hinter dem Rücken und beobachte den Verkehr auf dem Wasser. »Sie mögen das überhaupt nicht.«
Möwen stoßen heisere Schreie aus und gleiten anmutig über den Fluss hinweg zum anderen Ufer hinüber, die Wellen plätschern sacht gegen die Stufen. Courcelles schaut, nach meiner Anmerkung von plötzlichen Zweifeln überkommen, an seinen eigenen Kleidern hinunter.
»Bruno, Courcelles – steigt ein, um Himmels willen!«, ruft Castelnau und klatscht in die Hände. »Wir sollten nicht zu spät kommen.«
Ich nehme Marie gegenüber Platz. Sie lächelt und neigt sich nach vorne, dabei fällt mein Blick auf die an ihrem Mieder befestigte juwelenbesetzte Brosche. Etwas daran kommt mir merkwürdig bekannt vor, und als ich genauer hinsehe, erkenne ich, dass die Steine sich zu einem Vogel mit gebogenem Schnabel zusammensetzen, der sich mit ausgebreiteten Flügeln aus seinem Nest erhebt. Es dauert ein Weilchen, bis mir klar wird, wo ich diesen Vogel schon einmal gesehen habe, und beinahe entfährt mir ein leiser Schrei – er ist mit dem in den goldenen Siegelring eingravierten Emblem identisch, den Cecily Ashe von ihrem mysteriösen Geliebten erhalten hat. Unwillkürlich wandert meine Hand zu meiner Brust, wo der Ring für den Fall, dass meine Kammer nochmals durchsucht würde, in einer Innentasche meines Wamses steckt.
»Seht Ihr irgendetwas, das Euch interessiert, Bruno?«, fragt Marie süß. Ich blicke auf, bemerke, wie ihre Augen schelmisch blitzen, und mir wird klar, dass ich die Brosche, die sie an der Seite ihres Mieders genau dort angesteckt hat, wo der Ansatz ihrer glatten weißen Brüste über dem tiefen Ausschnitt ihres Korsetts zu sehen ist, geradezu schamlos angestarrt habe. Sie betrachtet mich mit gespieltem Tadel, als wäre ich ein ungezogener Schuljunge, und ich spüre, wie mir das Blut heiß in die Wangen steigt. Ich schiele rasch zu dem Botschafter hinüber, der anscheinend nichts mitbekommen hat, er ist damit beschäftigt, Courcelles – der, den bösen
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