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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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lächelnd ein. »Sein Verlangen nach ihr schmolz dahin wie Schnee in der Sonne.«
    »Das ist eine ziemlich zynische Auffassung von Liebe, Bruno«, tadelt sie.
    »Sie beruht auf Beobachtungswerten, wie alle meine Hypothesen.«
    »Seht, hier ist schon der Palast«, meldet sich Courcelles zu Wort. Wir drehen uns um und beobachten, wie die niedrigen roten Ziegelmauern einiger Nebengebäude am Wasserrand höheren Befestigungsanlagen aus hellem Stein weichen und direkt vor uns ein von Laternen erleuchtetes Bauwerk in das Wasser hineinragt.
    Castelnau gebietet allen mit erhobener Hand Schweigen und lässt den Blick langsam über uns hinwegwandern, sodass keinem von uns seine ernste Miene entgeht.
    »Wir werden außer einer höflichen Begrüßung heute Abend kein Wort mit Henry Howard und seinen Begleitern wechseln«, warnt er mit gedämpfter Stimme. »Wir dürfen dem englischen Hof und vor allem Ihrer Majestät keinen Grund liefern, uns zu verdächtigen, etwas mit ihm zu schaffen zu haben. Haben wir uns verstanden?« Obwohl er uns alle ansieht, scheint die Frage hauptsächlich an seine Frau gerichtet zu sein. Wir nicken pflichtschuldig.
    »Legt an der Privy Bridge an«, befiehlt Castelnau den Ruderern, und Marie schickt sich an, ihre Röcke glattzustreichen und ihren Umhang zurechtzuzupfen.
    Die Privy Bridge ist weniger eine Brücke als vielmehr eine Art Landungssteg, ein auf Pfählen stehender überdachter Fußweg, ähnlich einem schmalen Häuschen, über den die Angehörigen des Hofes bei schlechtem Wetter ihre Barke erreichen können, ohne nass zu werden. Heute Abend sind die Wände dieses Ganges mit scharlachrot-goldenen und mit dem Wappen der Königin bestickten Bannern geschmückt; der Löwe und der Drache scheinen sich in der leichten Brise aufzubäumen. Am Ende dieser Konstruktion führen einige Stufen hinunter zu einer kleinen Landungsbrücke, und dort warten zwei Männer in der Livree der Königin, um uns beim Aussteigen behilflich zu sein. Castelnau hebt Marie aus dem Boot, ehe er selbst hinausklettert, Courcelles und ich folgen ihm, und ich bleibe kurz auf den Stufen stehen, um zu der vor mir aufragenden Palastmauer aufzublicken. Zum ersten Mal werde ich am englischen Hof und vielleicht Königin Elisabeth selbst vorgestellt, und mich erfasst ein seltsames Gefühl der Beklemmung.
    Wir werden einen Verbindungsweg entlang und dann quer über einen weitläufigen gepflasterten Hof geführt, der zu allen vier Seiten von Gebäudereihen aus roten Ziegeln mit Balustraden an den Dächern und hohen, von perlweißem Stein eingefassten Fenstern mit Mittelpfosten gesäumt wird. An jedem Eingang und im Schatten der Kreuzgänge bemerke ich hochgewachsene, bewaffnete junge Männer, die in Wappenröcke der Königin gekleidet sind.
    »Elisabeth bekommt es wohl mit der Angst zu tun«, raunt Courcelles leise, dabei nickt er zu einem der granitgesichtigen Männer hinüber. »Normalerweise ist die Palastgarde nicht so zahlreich vertreten.«
    »Vermutlich hat sie Grund dazu«, entgegne ich. Er quittiert dies mit einem grimmigen Lachen.
    Aus der offenen Tür der großen Halle wehen Stimmengewirr und Musik zu uns herüber, und der Wohlgeruch brennenden süßlichen Duftöls steigt uns in die Nase. Auf der Schwelle bleibt Castelnau so abrupt stehen, dass ich fast gegen ihn geprallt wäre, und er deutet mit dem Finger auf mein Gesicht.
    »Macht keine Schwierigkeiten, Bruno.« Er lächelt, doch die Warnung ist unmissverständlich.
    Ich weiß, worauf er hinauswill. Ich bin aufgrund seiner Einladung hier, und das ist keine Kleinigkeit; ich stehe in Europa in dem Ruf, mich gern auf hitzige Debatten einzulassen, aber an diesem Abend vertrete ich die französische Botschaft und in gewisser Hinsicht auch König Henri selbst. Es würde von mir ohnehin erwartet werden, bescheiden und zurückhaltend aufzutreten, denn unter den gegebenen Umständen ist es allemal von entscheidender Bedeutung, dass Königin Elisabeth auch weiterhin eine gute Meinung von Henri von Frankreich und seinem Botschafter hat. Castelnaus Ansicht nach könnte ihre freundschaftliche Beziehung alles sein, was zwischen England und einem Krieg steht. Courcelles lächelt affektiert, doch ich nicke nur gehorsam. Castelnau dreht sich zufrieden um, zieht sein Wams zurecht und bereitet sich darauf vor, die Halle zu betreten, während Marie sich hinter seinem Rücken zu mir wendet und mir zuzwinkert.
    Die Pracht des Spektakels, das sich uns bietet, verdrängt alle meine anderen Gedanken.

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