Frevel: Roman (German Edition)
Blicken nach zu urteilen, mit denen er mich durchbohrt, zumindest versucht hat, unserem Gespräch zu lauschen – detailliert auseinanderzusetzen, wie wir nach dem Konzert wieder nach Hause kommen.
»Eure Brosche«, erwidere ich und deute darauf, was mich noch verlegener macht.
»Ah. Sie ist sehr schön, nicht wahr?«, bemerkt sie mit derselben seidigen Stimme. »Sie bedeutet mir viel – der Duc de Guise schenkte sie mir, bevor ich Paris verließ.« Sie berührt leicht das Schmuckstück und lässt ihre Finger fast abwesend über ihr Dekolleté gleiten; ich für meinen Teil lasse meinen Blick ihrer Hand fast unabsichtlich folgen und zusammen mit ihr auf dem blassen Stück Haut ruhen, den feinen Linien ihres Schlüsselbeins und dem halbmondförmigen Schatten zwischen ihren Brüsten. Endlich hebe ich den Kopf und stelle fest, dass sie mich mit einem unergründlichen Ausdruck in den Augen eindringlich fixiert.
»Tatsächlich? Verzeiht mir …« Ich verwünsche den Umstand, dass meine Hand leicht zittert. »Ich dachte nur, ich würde das Emblem kennen.«
»Den Phönix?« Sie dreht die Brosche geringfügig und senkt den Kopf, um sie zu betrachten. »Ihr habt sie wahrscheinlich in Frankreich gesehen – es ist das persönliche Wappen von Marie de Guise, der Tante des Herzogs. Er erbte sie nach ihrem Tod.«
»Der Tante des Herzogs? Also – Maria Stuarts Mutter?«
»Natürlich. Der Phönix war ihr bevorzugtes Symbol – da sie sich selbst schon so oft aus der Asche erhoben hat, versteht Ihr? Unglück und Schicksalsschläge konnten sie nicht besiegen. Wie ich vernommen habe, hat Maria Stuart dies Zeichen auch angenommen, um ihre bevorstehende Rückkehr aus dem Gefängnis auf den Thron zu versinnbildlichen. Was bald geschehen wird, so Gott will.«
Sie lächelt bewusst provozierend und zeigt ihre weißen Zähne. Ich bekunde murmelnd meine Zustimmung, doch meine Gedanken überschlagen sich. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Vogel mit dem Symbol auf dem Ring identisch ist. Ein Phönix – und was ich für die Zweige des Vogelnests gehalten hatte, sind, wie ich jetzt erkenne, Flammen, die ihn umzingeln, während der Vogel triumphierend seine großen Schwingen ausbreitet. Sobald wenig später die Ruder der Barke in einem gleichmäßigen Rhythmus durch das Wasser gleiten und der Wind immer kühler wird, je mehr wir uns der Mitte des Flusses nähern, wende ich mich von Marie ab und richte den Blick auf das südliche Ufer, ohne es bewusst wahrzunehmen, während ich im Geist das Bild der Buchstaben rund um das Phönixemblem auf dem Siegelring heraufbeschwöre. Sa Virtu M’Atire . Das Visualisieren der Dinge bereitet mir keine Schwierigkeiten – mein Gedächtnissystem ist auf solchen Techniken aufgebaut –, und sowie ich die Buchstaben vor mir sehe, muss ich an mich halten, um auch diesmal keinen unterdrückten Schrei auszustoßen und mich für meine eigene Dummheit zu verwünschen, denn plötzlich erscheint, was bislang im Dunkeln lag, so blendend klar wie die goldene Sonnenscheibe vor uns am violetten Himmel: Es ist kein Code, sondern ein Anagramm! Die Buchstaben wirbeln in meinem Kopf umher und reihen sich dann so mühelos aneinander, dass ein Kind das Rätsel hätte lösen können: Sa Virtu M’Atire wird zu Marie Stuart – also nahezu perfekt Maria Stuart.
Damit ich nicht durch meine Körpersprache meine Erregung verrate, beiße ich auf die Knöchel meiner Hand und kauere mich über die Knie, denn auf diese Erkenntnis folgt eine zweite, noch Furcht einflößendere: Der Ring, den Cecily Ashe erhalten hat, war weit mehr als das Geschenk eines Liebhabers. Er muss als Unterpfand die Besiegelung einer ganz speziellen Verbindung zu der Königin der Schotten oder ihren Anhängern gewesen sein. Wurde ihr das Gift in der Parfümflasche dementsprechend auch in Marias Namen übergeben? Dann kann die Schlussfolgerung nur lauten, dass Cecily auf irgendeine Weise in die gegen Elisabeth gerichteten Komplotte Maria Stuarts verwickelt war, und soweit ich weiß, ranken sich diese Komplotte alle um die Französische Botschaft und diejenigen, die sich in ihrer Kapelle oder an der Speisetafel versammeln. Ich nehme das Gesicht aus dem Wind und kehre es Marie zu, betrachte sie, als sähe ich sie zum ersten Mal.
»Ist irgendetwas, Bruno?«, fragt sie, dabei legt sie eine Hand sanft auf meinen Arm. »Ihr wirkt, als würde Euch etwas bedrücken. Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Nein – nein, gar nichts.« Ich ziehe meinen Arm
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