Frevel: Roman (German Edition)
Gesicht ist jedoch angespannt, und jetzt reckt er sich, um erneut die Menge abzusuchen, als hoffe er, eine bestimmte Person ausfindig zu machen. Dann beugt er sich zu dem Soldaten, erteilt ihm leise ein paar hastige Befehle, und danach verlassen die drei – Burghley, Walsingham und der Wachposten – die Halle durch eine Seitentür.
Ich bemühe mich, mich auf die Musik zu konzentrieren, aber das Blut pocht in meinen Schläfen. Der Palastgardist und seine drängend flackernden Augen, Burghley und Walsingham und ihr gehetzter Gesichtsausdruck … jetzt bin ich ganz sicher, dass sich etwas Furchtbares ereignet haben muss, und sosehr ich auch versuche, meine schlimmsten Befürchtungen zu verdrängen, ich kann nicht verhindern, dass meine Gedanken unaufhörlich um Abigails Abwesenheit und den Verdacht kreisen, dass jemand unser Treffen am Holbeintor beobachtet hat. Allerdings kann ich unmöglich das Konzert verlassen und Walsingham folgen; für die Öffentlichkeit bin ich ein Niemand, nur ein unbedeutender Gast des französischen Botschafters. Es steht mir nicht zu, Fragen zu stellen. Der Chor setzt seinen ätherischen Gesang fort, wiewohl am anderen Ende der Halle, gegenüber dem Podest, erneut Unruhe entsteht. Doch als ich mir den Hals verrenke, um besser sehen zu können, stelle ich fest, dass es sich nur um ein paar Diener handelt, die frische Kerzen in die Wandleuchter stecken, weil das letzte Tageslicht allmählich erstirbt. Dann fällt mir auf, dass einige bewaffnete Männer unauffällig hinter den Dienern in die Halle geschlüpft sind und zu beiden Seiten der Haupttüren Posten bezogen haben – und noch immer nimmt der Gesang seinen Fortgang. Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Chor; meine Handflächen sind unterdessen schweißfeucht, ich wische sie an meiner Hose ab, und mein Mund wiederum ist so trocken, dass ich kaum schlucken kann. Eine weitere Motette beginnt und endet mit einem bittersüßen, flehenden Schluss.
»Giordano Bruno?«
Die Stimme ist kaum zu vernehmen, warmer Atem weht über meine Wange. In einem Winkel meines Blickfeldes taucht ein bärtiges Gesicht derart nah neben dem meinen auf, dass ich die Züge unmöglich erkennen kann.
»Dreht Euch nicht um und antwortet nicht, Sir. Versucht, die Halle in ein paar Minuten durch die Tür hinter Euch zu verlassen, ohne dass jemand auf Euch achtet. Befehl des Staatssekretärs.«
Er zieht sich so unbemerkt zurück, wie er aufgetaucht ist, ohne dass ich sein Gesicht habe sehen können. Ich warte, bis ich gewiss bin, dass Castelnau, Marie und Courcelles nur Augen für den Chor haben, und trete einen Schritt zurück, dann noch einen, bis ich von anderen Gästen verdeckt werde. In die Täfelung ist eine Seitentür eingelassen; als ich darauf zusteuere, öffnet der Wachposten sie einen Spaltbreit, und ich zwänge mich durch die schmale Lücke. Auf der anderen Seite erwartet mich ein hochgewachsener, bärtiger, ganz in Schwarz gekleideter Mann. Er sieht aus wie ein Sekretär.
»Hier entlang.« Er deutet auf den sich vor uns erstreckenden Korridor.
»Könnt Ihr mir verraten, worum es hier eigentlich geht?«, frage ich.
Er schüttelt den Kopf, presst die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und bedeutet mir, den Gang entlangzugehen, der von der großen Halle zu einem Labyrinth von Staatsräumlichkeiten führt. Wenn wir um eine Ecke biegen müssen, legt er mir leicht eine Hand auf den Rücken, um mir den Weg zu weisen. Worte werden nicht gewechselt. Am Ende eines anderen Korridors bleibt er stehen und klopft an, bevor er mich in eine kleine, kärglich möblierte Kammer mit hohen Fenstern führt. Der Earl of Leicester lehnt neben einem dieser Fenster an der Wand und blickt tief in Gedanken versunken zu dem sich verdunkelnden Himmel hinaus, während sich die Schatten rund um seine Augen und die scharfen Konturen seines Gesichts legen. Walsingham schreitet, eine Hand um Kinn und Mund gelegt, im Raum auf und ab; Burghley steht neben dem Schreibtisch und beobachtet die Tür. Seine Kappe ist verrutscht, und sein weißes Haar steht ihm in Büscheln vom Kopf ab, weil er wohl mit der Hand hindurchgefahren ist. Neben ihm steht zu meiner grenzenlosen Überraschung der magere Junge, der mir vor drei Tagen Abigails Botschaft überbracht hatte. Er wischt sich die Hände immer wieder an seiner gestreiften Schürze ab, die darauf schließen lässt, dass er in der Küche arbeitet, und sieht aus, als hätte er geweint. Als der Wächter die Tür leise hinter mir
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