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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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Rat gibt es viele, die vielstimmige Musik für eine der größten Sünden Roms halten.«
    Ich nicke, meine Aufmerksamkeit hingegen gilt dem Mann, der jetzt den Mittelgang entlang auf das Podest zugeht. Er ist klein, hat braunes, aus der Stirn gekämmtes Haar und einen säuberlich gestutzten Bart. Nur seine Augen zeugen von ruheloser Energie, als er den Chor – dreißig Männer und zwölf Knaben – zu der Nische vor dem großen Fenster führt, wo zuvor die Musiker gespielt haben. Dieser William Byrd wird rund um die Uhr von Walsinghams Agenten überwacht; er macht aus seinem katholischen Glauben keinen Hehl, und seine Stellung als königlicher Hofkapellmeister schützt ihn nur bedingt. Aber der Umstand, dass Elisabeth über seinen religiösen Ungehorsam nicht nur hinwegsieht, sondern Byrd sogar weiterhin öffentlich rühmt, wird von einigen als Zeichen von Zweifeln an ihrem eigenen Glauben gedeutet – oder einfach nur als Beweis dafür, dass sie weiß, was sie will, und sich von Extremisten beider Fraktionen nicht einschüchtern lässt.
    Eine erwartungsvolle Stille legt sich über die Menge, während Byrd darauf wartet, dass seine Sänger sich in Reihen aufstellen. Als er zufrieden ist, hebt er beide Hände und breitet die Arme aus, das Publikum hält den Atem an, und einen Herzschlag lang scheinen wir alle in einem zeitlosen Raum zu schweben, zwischen einem Moment und dem nächsten gefangen. Hierauf lässt Byrd die Hände sinken, und ein Ton, klar wie Vogelgesang, löst sich aus dem Mund des kleinsten Jungen und steigt zu den Deckenbalken empor. Er ist kaum erklungen, als die anderen Stimmen nacheinander einfallen und die Basstöne dunkel und melancholisch unter den anmutigen Jungenstimmen dahinfließen. Bei dem Lied handelt es sich um ein Gebet für die Königin; die Worte fluten über die Musik hinweg wie Wasser über einen gläsernen Springbrunnen. Die Wirkung ist so ergreifend, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. Ich schiele zu Marie: Zu meiner Überraschung hat sie den Kopf leicht zurückgelegt, die Augen geschlossen und die Lippen ein wenig geöffnet, sie scheint sich von der Musik vollkommen vereinnahmen zu lassen. Als ich sie so sehe, revidiere ich meine Meinung über sie. Ich hatte sie für zu oberflächlich gehalten, um sich von Schönheit rühren zu lassen, sofern es sich dabei nicht gerade um ihr Bild im Spiegel handelt. Vielleicht habe ich sie ungerecht beurteilt, denke ich, und dann muss ich den Blick abwenden; die Kurve ihres Halses, die feuchten Lippen und die blassen Lider wirken so provozierend, dass mich gegen meinen Willen und wider besseres Wissen eine Welle des Verlangens erfasst. Ich darf mir auf keinen Fall gestatten, mich solchen Gedanken über die Frau meines Gastgebers hinzugeben.
    Auf der Suche nach Ablenkung lasse ich den Blick erneut über die Menge wandern, beobachte die Gesichter und die verschiedenen Reaktionen, die von Versunkenheit bis hin zu unverhohlener Langeweile reichen. Plötzlich bemerke ich aus dem Augenwinkel heraus einen kleinen Tumult in der Nähe des Podests, stelle mich auf die Zehenspitzen und sehe, dass einer der Palastgardisten sich zu Lord Burghley durchgedrängt hat und ihm sichtlich aufgeregt etwas zuflüstert. Ich weiche zurück und schiebe mich zwischen Courcelles und Castelnau, sodass ich Burghley über die Köpfe der Menge hinweg besser im Auge behalten kann. Jegliche Farbe ist aus seinem Gesicht gewichen, er dreht sich um und winkt Walsingham unauffällig zu sich. Walsingham entschuldigt sich bei seinen Begleitern rechts und links von ihm, drängt sich an ihnen vorbei und gesellt sich zu Burghley, der ihn sogleich dicht zu sich heranzieht. Die beiden Männer flüstern miteinander, schließlich blickt Walsingham auf, und seine Augen durchkämmen ganz kurz die Menschenmenge, und sobald ich den versteinerten Ausdruck auf seinem Gesicht sehe, krampft sich mein Magen zusammen. Ich bin sicher, dass etwas Entsetzliches geschehen sein muss.
    Inzwischen drehen sich noch weitere Leute zu der Quelle der Unruhe um, während die Stimmen der Sänger noch immer durch die Halle fluten. Elisabeth hat nun ebenfalls etwas bemerkt und neigt sich, die Hände auf die Lehnen ihres Throns gestützt, vor, um festzustellen, wer es wagt, das Konzert zu stören. Ihr Ärger schlägt in Besorgnis um, als sie ihre beiden obersten Staatsmänner bei dem Soldaten stehen sieht. Walsingham hebt eine Hand; eine Geste, die besagt: Keine Sorge, wir haben alles unter Kontrolle. Sein

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