Frevel: Roman (German Edition)
meine jüngste Entdeckung bezüglich des Rings erfordert es noch dringender, dass ich Abigail dazu bringe, mir auch die Geheimnisse anzuvertrauen, die sie bislang für sich behalten hat. Davon abgesehen hat mich allerdings seit ihrer unverhofften Bemerkung über einen möglichen Liebhaber, den sie für sich in Erwägung zieht, die Hoffnung auf ein Wiedersehen nicht losgelassen; manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich mich frage, ob sie damit wohl auf mich angespielt hat, wenngleich ich mich dann sofort mahne, mich nicht lächerlich zu machen. Trotzdem kann ich eine zaghafte Vorfreude nicht unterdrücken, während ich in der glitzernden und funkelnden Menschenmenge nach einem roten Haarschopf Ausschau halte.
Just in diesem Moment teilt sich das Menschengewimmel vor uns, und mein Blick fällt auf ein gefährliches Kleeblatt: Henry Howard und sein Neffe Philip, Earl of Arundel, sind in ein Gespräch mit Don Bernadino de Menoza und Archibald Douglas vertieft. Letzteren erkenne ich fast nicht wieder. Offenbar hat er sich für diesen Anlass rasieren und sich das Haar schneiden lassen, er wirkt jünger und wesentlich gepflegter als bei unserer letzten Begegnung. Castelnau senkt grüßend den Kopf, Howard erwidert die Geste mit einem knappen Nicken, dreht sich um und sagt etwas zu Mendoza, der mit einem Flüstern antwortet und unsere Gruppe finster anstarrt. Castelnau späht über Maries Kopf hinweg zu mir hinüber. Furcht flackert in seinen Augen auf.
Dennoch setzt er unverzüglich seinen Weg Richtung Podest fort und schlängelt sich mit Marie im Schlepptau durch die Reihen; er will für uns Plätze in der Nähe der Königin ergattern, um ihren Blick besser auf uns lenken zu können. Als ich den beiden durch das Gewühl folge, entdecke ich zu meiner Freude Sidney und seinen Onkel, den Earl of Leicester – die zwei überragen alle anderen um Haupteslänge. Sidneys Haar steht noch wilder vom Kopf ab als sonst, er sieht aus, als wäre er kurz vorher im Freien von einer heftigen Windbö erfasst worden. Unauffällig versuche ich, seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Als er mich endlich bemerkt, schenkt er mir ein warmes Lächeln, macht aber keine Anstalten, auf mich zuzukommen, und mir fällt wieder ein, dass ich in der Öffentlichkeit, vor allem in Gegenwart von Castelnau und Courcelles, der mich beobachtet wie eine Katze eine Maus, Abstand zu meinem engsten Vertrauten wahren muss. Der Earl of Leicester wirkt in seinem aufwändig bestickten pflaumenfarbenen Samtwams imposant und aristokratisch, er hält die Arme vor der Brust verschränkt, während er den Blick über die Menge schweifen lässt. Sein Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den schmalen Lippen ist ernst, die Augen funkeln wachsam. Er beugt sich zu Sidney und sagt etwas, was sie beide zum Lachen bringt; ich wende mich ab und unterdrücke die Enttäuschung darüber, dass ich mich nicht zu meinem Freund gesellen kann. Mir wird bewusst, dass es unter all meinen Bekannten in England kaum einen gibt, mit dem ich offen sprechen kann. Plötzlich komme ich mir in dem Gewimmel übertrieben aufgeputzter Männer seltsam isoliert vor, wie ein Schauspieler, der eine Rolle zu spielen hat.
Indes, diese trüben Gedanken verfliegen, als die Musik verstummt und in die darauffolgende Stille hinein ein klarer Ton aus acht Trompeten ertönt. Wie auf einen unausgesprochenen Befehl hin teilt sich die Menge, um eine Gasse von der Tür bis zu dem Podest zu schaffen, und ich sehe, dass in der Mitte der Halle ein Teppich ausgelegt worden ist. Castelnau schiebt uns alle vorwärts, bis wir ganz vorne stehen. Ein Raunen läuft durch die Halle, ehe die Trompeten noch einmal erschallen und die mächtigen Flügeltüren aufgestoßen werden. Die Höflinge sinken augenblicklich auf die Knie, und als ich kurz den Kopf hebe, erblicke ich die weißen Röcke eines Mädchens, das Rosenblüten auf den Teppich streut, während es langsam den von den knienden Gästen gebildeten Gang entlangschreitet.
Ich riskiere es, mich noch ein Stück höher zu recken, spähe an dem Mädchen vorbei und hefte den Blick zum ersten Mal auf die Königin von England. Schon vor meiner Ankunft in ihrem Reich habe ich mir im Geist ein Bild von Elisabeth Tudor, meinem Symbol für Möglichkeiten und Hoffnungen, gebildet, einer protestantischen Monarchin, die es gewagt hat, während ihrer fünfundzwanzigjährigen Herrschaft nacheinander drei Päpsten die Stirn zu bieten. Es ist töricht und vermessen von mir, das weiß
Weitere Kostenlose Bücher