Frevelopfer
Essen saßen sie zusammen und unterhielten sich, oder sie sahen sich zusammen mit Theodóra irgendeinen Blödsinn im Fernsehen an. Elínborg schlief meist vor dem Fernseher ein. Wenn es auf elf Uhr zuging, schlich sie hundemüde ins Bett, und Teddi folgte ihr. Nach dem Essen genehmigte er sich manchmal noch zwei oder drei Bier, Elínborg trank dann aber keinen Tropfen mehr. Für sie war es ein Genuss, sich von der Müdigkeit besiegen zu lassen. Die Samstage gingen mit Putzen und Einkäufen drauf, und am späten Nachmittag begab Elínborg sich in die Küche, um dort Rezepte auszuprobieren. Das waren die besten Stunden der Woche. Teddi durfte dann weder die Küche betreten noch sich an den Essensvorbereitungen beteiligen, er durfte noch nicht einmal den Kohlegrill anwerfen. In den vergangenen Wochen hatte Elínborg mit importierten Fasanen experimentiert, die man tiefgefroren kaufen konnte, aber das perfekte Rezept war daraus noch nicht geworden. Teddi fand, dass Fasanen geschmacklich uninteressant waren, und außerdem war viel zu wenig an ihnen dran. Elínborg wies ihn darauf hin, dass es dumm sei, die Qualität nach der Quantität zu beurteilen.
»Er schien gut in Form zu sein«, sagte Elínborg zu dem Privattrainer, einem gestählten Mann um die dreißig, der die personifizierte Lebenslust zu sein schien. Seine Zähne blinkten auf wie die Lichtsignale an einer Flugzeuglandebahn.
»Runólfur war echt fit«, sagte der Trainer, während sein Blick an Elínborg hinunterglitt. Ihr kam es wie eine Taxierung vor, und sie glaubte zu wissen, wie das Urteil ausfallen würde: lebenslänglich auf dem Laufband.
»Weißt du, warum er seinerzeit das Studio gewechselt hat und hierherkam?«, fragte Elínborg.
»Nein, keine Ahnung. Wahrscheinlich ist er einfach hier ins Viertel gezogen. Das ist meistens der Grund.«
»Weißt du, wo er früher war?«
»Ich glaube, in der ›Firma‹.«
»In der ›Firma‹?«
»Das hat mir irgendjemand erzählt, der auch dort trainierte. Leute, die ins Fitnessstudio gehen, kennen einander, zumindest vom Sehen.«
»Weißt du etwas darüber, ob er hier irgendwelche Leute kennengelernt hat?«
»Eigentlich nicht. Er war praktisch immer alleine hier. Manchmal ist er mit einem Freund gekommen, aber wie der heißt, weiß ich nicht. Eine traurige Gestalt – und alles andere als fit. Er ist nie an die Geräte gegangen, sondern hat immer nur an der Kaffeebar rumgehangen.«
»Hat er mit dir über Frauen geredet, wenn er hier war?«
»Frauen? Nein.«
»Und es gibt keine Frauen, mit denen er hier im Studio gesprochen oder die er hier kennengelernt hat?«
Der Trainer überlegte. »Nein, ich glaube nicht. Er war nicht sehr kommunikativ.«
»Na schön«, sagte Elínborg. »Vielen Dank.«
»Keine Ursache. Ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber ich habe ihn im Grunde genommen überhaupt nicht gekannt. Entsetzlich, was ihm passiert ist, einfach entsetzlich.«
»Ja, das ist wahr«, sagte Elínborg und verabschiedete sich von dem Bronze-Mann, der freundlich lächelte und Runólfurs Schicksal wohl gleich wieder vergessen würde. Sie war schon draußen auf dem Parkplatz, als ihr plötzlich noch etwas einfiel, und sie machte kehrt. Der Trainer beugte sich gerade über eine voluminöse Frau um die sechzig in einem grellbunten Jogginganzug, die sich eine Muskelzerrung zugezogen hatte und in einem der Hebegeräte festzustecken schien.
»Entschuldige«, sagte Elínborg.
Der Trainer blickte hoch. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet.
»Ja.«
»Haben irgendwelche Frauen hier im Studio aufgehört, nachdem er angefangen hatte?«
»Aufgehört?«
»Ja. Hat irgendjemand ganz plötzlich aufgehört? Ohne Erklärung. Jemand, der vielleicht lange hier trainiert und dann auf einmal aufgehört hat, nachdem Runólfur hier regelmäßig aufgetaucht ist?«
»Könntest du …?«, sagte die dicke Frau, die ihre Hand nach dem Trainer ausstreckte und ihn Hilfe suchend ansah.
»Hier hören immer wieder Leute auf«, sagte der Trainer. »Ich verstehe nicht …«
»Ich überlege nur, ob dir irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen ist, eine Frau, die lange hier trainiert hat und dann mit einem Mal aufgehört hat.«
»Das ist mir nicht aufgefallen«, sagte der Trainer. »Und so etwas würde mir auffallen, denn mir gehört dieses Studio schließlich. Zumindest ein Teil davon.«
»Es ist vielleicht nicht ganz einfach, genau mitzuverfolgen, wer aufhört und wer neu hinzukommt. Hier trainieren ja
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