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schließlich jede Menge Leute.«
»Es ist wirklich ein sehr beliebtes Studio«, sagte der Trainer.
»Ja, selbstverständlich.«
»Aber seinetwegen hat niemand aufgehört. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste.«
»Hallo. Würdest du …« Die Frau in dem Gerät schien vollkommen hilflos zu sein.
»Schon gut«, sagte Elínborg. »Vielen Dank. Möchtest du, dass ich dir dabei helfe …«
Die Blicke der Frau irrten zwischen ihrem Trainer und Elínborg hin und her.
»Nein, nein, das ist kein Problem«, sagte der Trainer. »Das kriegen wir schon hin.«
Als Elínborg das Studio verließ, hörte sie, wie die Frau laut aufschrie und den Bronze-Mann mit Beschimpfungen überschüttete.
Die Polizei hatte mit einigen Leuten geredet, die Runólfur gekannt hatten, darunter Nachbarn und Arbeitskollegen. Alle wussten nur Positives über ihn zu berichten und hatten nichts an ihm auszusetzen. Sein Tod und vor allem auch die näheren Umstände waren ihnen ein völliges Rätsel. Einer von Runólfurs Kollegen wusste von einem Freund, der Eðvarð hieß. Er arbeitete nicht bei der Telefongesellschaft, doch Runólfur hatte seinen Namen hin und wieder erwähnt. Elínborg erinnerte sich, dass der Name Eðvarð etliche Male in der Übersicht über Runólfurs Telefongespräche auftauchte, die der Polizei vorlag. Als man Verbindung zu Eðvarð aufnahm, gab er zu, Runólfur gekannt zu haben, wusste aber nicht, wie er der Polizei helfen konnte. Elínborg lud ihn ins Hauptdezernat vor.
Eðvarð hatte aus den Medien von der Vergewaltigungsdroge erfahren, und darüber war er fast noch erstaunter als über das brutale Ende, das sein Freund gefunden hatte. Er erklärte, es müsse sich um ein Missverständnis handeln, seinen Freund könnten sie doch nie und nimmer mit Vergewaltigungsdrogen in Verbindung bringen, Runólfur sei dazu überhaupt nicht der Mann gewesen. Bislang war noch nicht publik geworden, dass auch in Runólfurs Körper Rohypnol gefunden worden war.
»Was für ein Mann muss man dazu sein?«, fragte Elínborg und bot Eðvarð einen Platz an.
»Das weiß ich nicht. Aber nicht er. Auf gar keinen Fall.«
Eðvarð sah Elínborg mit großen Augen an und erklärte ihr, dass sie sich ganz gut gekannt hatten. Sie hatten sich angefreundet, nachdem Runólfur nach Reykjavík gezogen war. Vorher waren sie sich nie begegnet. Eðvarð war jetzt Lehrer, und er und Runólfur hatten sich auf dem Bau kennengelernt, wo sie beide während ihrer Ausbildung in den Sommerferien gearbeitet hatten. Sie waren häufig zusammen ins Kino gegangen und interessierten sich für englischen Fußball. Beide waren ungebunden und rasch Freunde geworden.
»Und seid ihr auch gemeinsam ausgegangen?«, fragte Elínborg.
»Das ist vorgekommen«, sagte Eðvarð. Er war über dreißig und nicht mehr der Schlankste. Er hatte einen ziemlich zotteligen Bart, schütteres, dunkelblondes Haar und ein schwammiges Gesicht.
»Wie gut kam Runólfur mit Frauen zurecht?«
»Er war immer sehr nett zu ihnen. Ich weiß genau, was du von mir hören willst, aber ich habe nie gesehen, dass er jemandem etwas zuleide getan hat. Weder Frauen noch irgendjemand anderem.«
»Und da war nichts an Runólfurs Art, was erklären könnte, weshalb wir Rohypnol in seiner Tasche gefunden haben?«
»Er war ein ganz normaler Junge«, sagte Eðvarð. »Das muss ihm irgendjemand in die Tasche gesteckt haben.«
»Hatte er zum Zeitpunkt seines Todes eine Freundin?«
»Nicht, dass ich wüsste. Hat sich jemand mit euch in Verbindung gesetzt?«
»Weißt du etwas über irgendwelche Frauen in seinem Leben?«, fragte Elínborg, ohne auf seine Frage einzugehen. »Jemand, mit der er zusammen war oder zusammenlebte?«
»Soweit ich weiß, hat er keine feste oder längere Beziehung gehabt. Er hat nie mit einer Frau zusammengelebt.«
»Wann hast du ihn zuletzt gesehen?«
»Ich habe vor dem Wochenende mit ihm telefoniert. Wir wollten uns vielleicht treffen. Ich habe ihn gefragt, was laufen würde, ob er irgendwas Besonderes machen wollte, aber er sagte nur, er würde zu Hause bleiben.«
»Und dann hast du ihn am Samstag angerufen?«
Die Polizei hatte Runólfurs Telefonkontakte einige Wochen zurückverfolgt, sowohl die über Festnetz als auch die über sein Handy. Die Listen waren Elínborg morgens zugegangen. Runólfur bekam nur wenige Anrufe, die meisten standen in Verbindung mit seiner Arbeit, aber es gab da ein paar Nummern, die genauer überprüft werden mussten. Eðvarð war derjenige, der ihn am
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