Frevelopfer
waren ihre Lieblingsfächer. Ich interessierte mich mehr für Sprachen. Wir haben überlegt, ob wir zum Studium nach Dänemark gehen sollten. Wir zwei zusammen. Das wäre …«
»Sie hat aber auch in Erwägung gezogen, in die Vereinigten Staaten zu gehen.«
»Ja, sie wollte von hier weg, sie wollte ins Ausland.«
Wieder öffnete sich die Tür. Áslaug bediente vier Kunden, bevor Elínborg sie nach Eðvarð fragen konnte. Sie war dankbar, dass Áslaug das Gespräch mit ihr nicht vor den anderen Leuten weiterführte.
»Hatte sie irgendeinen Lieblingslehrer?«, fragte sie schließlich.
»Nein, das glaube ich nicht«, antwortete Áslaug. »Die waren alle sehr nett.«
»Erinnerst du dich an einen Lehrer, der Eðvarð hieß? Ich glaube, er unterrichtete naturwissenschaftliche Fächer.«
»Ja, an den erinnere ich mich. Er ist aber schon lange nicht mehr an der Schule. Ich war nie bei ihm, aber er hat Lilja unterrichtet. Daran kann ich mich erinnern.«
»Sie hat aber nie über ihn gesprochen?«
»Nein, nicht dass ich wüsste.«
»Aber du kannst dich gut an ihn erinnern?«
»Ja. Er hat mich einmal mit in die Stadt genommen.«
»In die Stadt? Meinst du Akranes?«
Áslaug lächelte zum ersten Mal während des Gesprächs.
»Nein«, sagte sie. »Eðvarð wohnte in Reykjavík. Er hat mich einmal mit nach Reykjavík genommen.«
»Moment, war das in letzter Zeit?«
»In letzter Zeit? Nein, nein. Das war vor vielen Jahren, als er hier noch unterrichtete. Es war, bevor Lilja verschwunden ist, denn ich erinnere mich, dass ich ihr davon erzählt habe. Er war sehr nett. Weshalb fragst du nach ihm?«
»Und was war dann? Hat er dich irgendwo in der Stadt abgesetzt?«
»Ja. Ich stand da an der Bushaltestelle, als er anhielt und mir anbot, mich mitzunehmen. Ich wollte in Reykjavík einkaufen, und er nahm mich bis zur Kringla mit.«
»Hat er oft Leute mit in die Stadt genommen?«
»Keine Ahnung«, sagte Áslaug. »Er war einfach nett. Er hat mich sogar eingeladen, zu ihm nach Hause zu kommen, wenn ich Lust dazu hätte.«
»Zu ihm nach Hause?«
»Ja. Wieso? Weshalb fragst du nach ihm?«
»Bist du zu ihm nach Hause gegangen?«
»Nein.«
»Hat er Lilja auch irgendwann einmal mitgenommen?«
»Das weiß ich nicht.«
Die Tür ging auf, und ein neuer Kunde betrat die Bäckerei, dem weitere auf dem Fuße folgten, und bald war der Laden voller Menschen. Elínborg nahm ihr Brot, verabschiedete sich von Áslaug und ging mit dem Geräusch der Klingel in den Ohren hinaus.
* * *
Elínborg fuhr nach Reykjavík zurück und schaffte es gerade noch vor Ladenschluss zum Asien-Shop. Jóhanna war nicht da, nur eine Aushilfe. Als Elínborg nach Jóhanna fragte, antwortete die junge Frau, dass sie manchmal für Jóhanna einspringen würde. Elínborg konnte sich nicht erinnern, das Mädchen je in dem Laden gesehen zu haben. Sie sagte ihr, dass sie Jóhanna gut kennen würde und eigentlich mit ihr sprechen wolle. Die Aushilfe war Mitte zwanzig und eine Verwandte von Jóhanna. Sie lächelte viel und war sehr zuvorkommend. Sie erzählte Elínborg, dass Jóhanna in letzter Zeit einige gesundheitliche Probleme habe, weswegen sie jetzt immer öfter einspringen müsse. »Was ihr genau fehlt, weiß man nicht, wahrscheinlich Überanstrengung«, erklärte das Mädchen offenherzig und fügte hinzu, dass ihre Tante unheimlich tüchtig sei, viel zu viel arbeite und viel zu wenig auf ihre Gesundheit achte. Elínborg hatte das Gefühl, dass tagsüber nicht viel los gewesen war. Das Mädchen schien froh zu sein, sich mit jemandem unterhalten zu können.
»Vielleicht kannst du mir ja auch weiterhelfen, wenn du so häufig hier im Laden bist«, sagte Elínborg. »Ich habe das alles schon Johanna erzählt. Sie weiß, dass ich bei der Kriminalpolizei bin und nach einer jungen, dunkelhaarigen Frau suche, die möglicherweise zu euren Kunden gehört und sich hier die Gewürze für Tandoori-Gerichte besorgt. Vielleicht sogar einen Tandoori-Topf gekauft hat.«
Die junge Frau schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Sie hat vielleicht ein Schultertuch getragen«, sagte Elínborg. »Das kann ich dir zeigen, ich hab es bloß im Augenblick nicht dabei.«
»In diesem Herbst habe ich nur einen Tandoori-Topf verkauft«, sagte die junge Frau. »Und das nicht an eine junge Frau mit Schal, sondern an einen älteren Herrn.«
»Und du erinnerst dich nicht an eine Stammkundin mit dunklem Haar? Sie interessiert sich für asiatische Küche, Gerichte mit andersartigen
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