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Frevelopfer

Frevelopfer

Titel: Frevelopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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ihn mir beschreiben?«
    »Da gibt’s nichts zu beschreiben. Weshalb fragst du nach diesem Mann?«
    »Hier in der Nähe ist ein Verbrechen verübt worden. Diesen Mann muss ich finden.«
    »Das kannst du nicht«, erklärte Petrína mit Nachdruck.
    »Wieso denn nicht?«
    »Du weißt doch gar nicht, wer er ist«, sagte Petrína, schockiert über Elínborgs Dummheit.
    »Nein, deswegen möchte ich dich ja auch bitten, mir zu helfen. Es war also ein Mann? Du hast heute Morgen gesagt, er hätte eine dunkle Jacke und eine Mütze getragen. War das eine Lederjacke?«
    »Nein, das weiß ich nicht. Er hat eine Mütze auf dem Kopf gehabt. Die war wahrscheinlich aus Wolle.«
    »Hast du bemerkt, was für eine Hose er trug?«
    »Keine besondere. Irgend so eine schäbige Trainingshose, nichts Besonderes. Der Reißverschluss war an den Beinen bis zu den Knien offen.«
    »Ist er mit dem Auto gekommen? Hast du das gesehen?«
    »Nein, ich habe kein Auto gesehen.«
    »War er allein unterwegs?«
    »Ja, er war allein. Ich habe ihn auch nur kurz gesehen, denn er bewegte sich sehr schnell, obwohl er hinkte.«
    »Hinkte?«, hakte Elínborg nach. Sie konnte sich nicht erinnern, das in dem Protokoll des Polizisten gelesen zu haben, der am Tag zuvor mit Petrína gesprochen hatte.
    »Ja, er hinkte, der arme Mann. Er hatte da so eine Antenne am Bein.«
    »Und du hattest den Eindruck, dass er in Eile war?«
    »Ja, bestimmt. Aber an meinem Haus gehen alle schnell vorbei, wegen der Strahlung. Der wollte bestimmt nicht, dass sein Bein was von der Strahlung abbekommt.«
    »Was war denn das für eine Antenne?«
    »Ich weiß nicht mehr, wie die aussah.«
    »War es sehr deutlich, dass er hinkte?«
    »Ja.«
    »Und er wollte nicht, dass sein Bein Strahlung abbekommt? Was meinst du damit?«
    »Deswegen hinkte er. Die Strahlung war so massiv. Richtig massive Strahlung im Bein.«
    »Du hast diese Strahlung ebenfalls gespürt?«
    Petrína nickte. »Was hast du gesagt, wer du bist?«, fragte sie dann. »Du bist nicht von den Stadtwerken? Weißt du, was ich glaube, woher das kommt? Willst du es wissen? Es ist alles die Schuld von diesem Uran. Massives Uran, das mit dem Regen runterkommt.«
    Elínborg musste lächeln. Sie hätte wohl besser auf den Polizisten gehört, der gesagt hatte, dass es sich vermutlich nicht lohnen würde, noch einmal mit der Zeugin zu reden. Sie bedankte sich bei Petrína, entschuldigte sich für die Störung und versprach, bei den Stadtwerken anzurufen und den Leuten wegen des Elektrosmogs, der ihr so zusetzte, ein bisschen Druck zu machen. Sie war sich jedoch nicht sicher, ob die Leute von den Stadtwerken die richtigen Ansprechpartner waren, um die arme Frau von ihren Kopfschmerzen zu heilen.
    Andere Zeugen gab es kaum. Ein Mann um die fünfzig, der auf dem Heimweg zur Njarðargata zu Fuß durchs Þingholt-Viertel gegangen war, meldete sich bei der Polizei. Er litt immer noch unter einem schweren Kater, wollte aber die Information weitergeben, solange sie ihm noch frisch im Gedächtnis war. Auf dem Nachhauseweg hatte er eine Frau in einem Auto sitzen sehen, das dort geparkt gewesen war. Sie saß auf dem Beifahrersitz, und der Mann hatte den Eindruck gehabt, dass sie nicht auffallen wollte, konnte das aber auch nicht weiter erklären. Er nannte den Namen der Straße, in der das Auto gestanden hatte; sie war ziemlich weit vom Tatort entfernt. Er konnte keine Beschreibung der Frau geben, glaubte aber, dass sie über fünfzig gewesen war. Sie hatte einen Mantel angehabt. Mehr konnte er nicht sagen. An das Auto, in dem sie gesessen hatte, konnte er sich nicht erinnern, weder an die Farbe noch an die Marke. Er betonte, dass er nichts von Autos verstünde.

Fünf
    Der Flug dauerte nicht lange, und trotz des Propellerlärms verlief er angenehm. Elínborg saß, wie sie es immer bei Inlandsflügen tat, am Fenster. Sie versuchte, etwas vom Land zu sehen, aber an diesem Spätnachmittag war es größtenteils bewölkt, und sie sah nur hin und wieder einen Berg, ein Tal oder einen Fluss, der sich durch die schneeweiße Landschaft schlängelte. Je älter sie wurde, desto größer wurde ihre Flugangst, ohne dass sie eine Erklärung dafür hatte. In jüngeren Jahren war ihr ein Flug nicht gefährlicher vorgekommen als eine Autofahrt. Mit den Jahren war sie ängstlicher geworden, was sie darauf zurückführte, dass auf ihr als Mutter von drei Kindern mehr Verantwortung lastete. Ein kurzer Inlandsflug war zu ertragen, allerdings auch nicht immer. Sie

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