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Friedemann Bach

Friedemann Bach

Titel: Friedemann Bach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Emil Brachvogel
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elender denn je!« Er weinte, krallte sich mit den Fingern in den Boden, tobte ... Er betete: »Gott, o mein Gott, lieber himmlischer Vater, erhalte mir wenigstens meinen Verstand!«
    Mit übermenschlicher Kraft erhob sich der Bestohlene, packte seine letzten und einzigen Besitztümer in die geleerte Tasche, klemmte, wie in früheren Tagen, seine Violine unter den Arm und schritt davon. Wieder einmal: irgendwohin ...
    Auf einem einsam gelegenen Gehöft in der Nähe von Heidenau fand er bei gutherzigen Bauern gegen bittende Worte und den kleinen Rest seiner Handbörse ein billiges Unterkommen. Als jedoch das scheußliche Herbstwetter, das mit Kälte, Sturm und Regen aufgewartet hatte, wieder der Sonne wich, und als gleichzeitig durch die Waffenstreckung des sächsischen Heeres, dessen Mannschaften kurzerhand in preußische Uniformen gesteckt wurden, durch Verwundetentransporte, Rückkehr Geflüchteter und neue Flucht anderer von der Kriegswalze Erfaßter lebhafte Bewegung auf allen Straßen war, wanderte auch Friedemann weiter. Bleiben konnte er nicht länger, und eine trostlose Lage ertrug sich vielleicht am leichtesten unter Trostlosen.
    Er wandte sich der Elbe zu und ging dann an ihrem Ufer entlang, um nach dem Städtchen Königstein zu gelangen. Dicht davor sah er an einer Weggabelung, halb von einem Gesträuch verdeckt, gekrümmt und vornübergeneigt, einen Leidensgefährten sitzen, der anscheinend nicht mehr weiterkonnte. Er näherte sich dem Ermatteten. Die Gestalt erhob sich, ein Tuch sank von ihren Schultern, -- es war ein Weib. Es war dasselbe Weib, das ihn schon einmal aus ihren großen, leuchtenden, rätselhaft tiefen Augen angeblickt hatte, es war die Zigeunerin, der er drei Goldstücke zugeworfen hatte. Sie stand auf dem Weg und streckte ihm zum Gruß die Hand entgegen.
    »Du?« -- und er legte zögernd seine Rechte in die ihre -- »was machst denn du hier?«
    »Ja, Towadei ist's! Ich wartete auf dich.«
    »Du wartetest auf mich?«
    »Du mußtest kommen, und du kamst! Frage nicht weiter! Du bist einer von den Klugen, die nach dem Warum haschen. Und wenn sie's wissen, wissen sie doch nichts. Du hattest Verstand, solange du Geld hattest. Was bist du nun? Nichts!«
    »Das festzustellen, ist nicht schwer, Towadei; jedes Kind sieht mir's an! Was soll das heißen, daß du mich erwartet hast? Willst du mich verspotten, so geh und laß mich!«
    »Es ist ein Geist zwischen Himmel und Erde, ein Hauch, der den Menschen begleitet und vorwärts zieht, daß er geht nach seiner Bestimmung. Ich wußte, wir werden uns wiedersehen! Willst du von mir gehen? Allein in dieser Welt voll Elend und selber elend? Haben dir die Mächtigen und Reichen so Gutes erwiesen, daß du die helfende Hand der Bettlerin von dir stößt?«
    Vom schmerzlichen Gefühl seiner Verlassenheit überwältigt, verzagt und zugleich beschämt, warf er sich ins Gras und drückte sein Antlitz gegen die Erde.
    Da fühlte er die Arme des fremden Mädchens sich um seinen Nacken schlingen. Es legte des Mannes Kopf in seinen Schoß und preßte ihn mit krampfhafter Gewalt an die pochende Brust. »Sei gegrüßt von der Tochter der Armut, Nacht und Schande, gegrüßt von dem Volk, das, verdammt von den Menschen, über die Erde zieht ohne Ruh' und ohne Heimat! Eine neue Welt und eine neue Sonne sollst du schauen, alle Qualen vergessen und glücklich sein!« Ihr Lippen senkten sich und küßten seinen Mund. Und sein Verstand zerbrach lachend in sich selbst, um ganz im Gefühl aufzugehen; der erste Schatten vom Glück breitete ein Helldunkel über die Sorgen seiner Seele.
    »Willst du nun mit mir gehen?«
    »Ja, ich will! Wäre es auch nur um des Mitleids willen, das du mir in diesem Augenblick geschenkt hast.« Er reichte ihr die Hand, die sie hastig ergriff und an ihr Herz preßte.
    Sie schritten wortlos der Stadt zu, und Friedemann konnte sich nicht enthalten, seine Begleiterin, der zu folgen ein rätselhafter Zwang ihn trieb, verstohlen anzublicken. Sie war nicht über mittlere Frauengröße, von schlanken Formen, die die Frische und saftige Fülle der Jugend an sich trugen. Die Haut war bräunlich getönt, ihr Haar tiefschwarz und fiel, unter ein Kopftuch gebunden, links und rechts in einem Zopf auf Wangen und Nacken. Sie trug einen vielfach geflickten Rock, ein Mieder umschloß ihre üppige Brust, und ein langes wollenes Tuch ersetzte den Mantel. Die feurigen, großen Augen, in denen zuweilen etwas Drohendes aufblitzte, verrieten kräftige Leidenschaften und

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