Friedemann Bach
mich! Wäre ich fromm, würde ich Dich segnen.
Cardin.«
Die Nacht rückte vor. Stumm brütend saß Friedemann. Als es zwei Uhr schlug, raffte er sich auf, sprach ein stilles Gebet und warf einen letzten Blick auf den Freund und das entschleierte Geheimnis seines »Extrazimmers«. Er kehrte den Frauenkopf wieder um ... und da packte ihn doch das Entsetzen ...
Das Geld aus Cardins Schreibtisch barg er in einer Ledertasche unter den breiten Patten seiner Weste, steckte seine Brieftasche, die »Kunst der Fuge« und die beiden teuren Notenblätter in die Rocktasche, nahm die alte Violine unter den Arm und verließ das Haus.
Geisterhaft schimmerte aus dem einzigen erleuchteten Fenster das Licht auf seinen Weg, flackerte noch einmal auf und erlosch.
Kapitel XXI
Brühls geheimer Unterhändler in Wien, Herr von Siepmann, hatte in jener geräuschlosen und unterirdischen Art, in der er Meister war, gut gearbeitet. Durch Bestechung war es ihm gelungen, sich in den Besitz des Schlüssels zur Chiffre der preußischen Gesandtschaftsdepeschen zu bringen, und somit waren die Gestalter der sächsischen Außenpolitik, Josepha und ihr Ministerregent, über alle Absichten und Schritte Friedrichs II. genau unterrichtet. Infolge einer Unvorsichtigkeit Brühls erhielt der preußische König jedoch Kenntnis von dem Geschehenen; die Chiffre wurde geändert und -- wieder gestohlen. Aber die Entschlüsselung der ferneren diplomatischen Berichte nützte nicht mehr viel. Friedrich war nicht nur vorsichtig geworden, er setzte auch List gegen List. Der sächsische geheime Kanzlist Menzel wurde »gekauft« und gab nun von allen Verhandlungen, die Dresden mit den übrigen Höfen führte, Abschrift der entscheidenden Abmachungen. Friedrich erkannte, daß schwache Frauenhände es fertiggebracht hatten, eine mit Erdrückung drohende Klammer immer enger um ihn zu schließen: Elisabeth von Rußland, Maria Theresia von Österreich, Josepha von Sachsen und endlich die Marquise von Pompadour, die im Mai 1756 König Ludwig XV. von Frankreich zu einem geheimen Bündnis vermocht hatte.
Noch aber war man mit den Rüstungen nicht zu Ende. Erst im folgenden Jahre sollte der Angriff erfolgen. Friedrich hatte seinen Gegenschlag, der nur darin bestehen konnte, den Gegnern zuvorzukommen, bereits geplant. Er richtete eine Anfrage an Maria Theresia, ob die beobachteten Rüstungen gegen ihn gerichtet seien, und als er zweimal eine ausweichende Antwort erhielt, marschierte er.
Mit einem Heer von fünfundsechzigtausend Mann rückte Friedrich II. Ende August in Sachsen ein. Die Truppen Augusts III., die nach Brühls Rechenkunststücken eine Stärke von dreißigtausend Gewehren haben sollten, in Wirklichkeit aber nur siebzehntausend betrugen, bezogen bei Pirna ein festes Lager. Der Hof flüchtete wiederum auf den Königstein, wiederum waren es Josepha und der Erbprinz Christian, die allein es wagten, dem heranziehenden Feind in der Residenzstadt zu begegnen.
Friedemann Bach hatte bei seinem zurückgezogenen und selbstbeschaulichen Leben in Arnstadt von den Vorkehrungen zu dem Drama, das sich zu entwickeln begann und für sieben lange Jahre die europäischen Länder mit allen Schrecken, Leiden und Nöten des Krieges heimsuchen sollte, nicht das mindeste gemerkt. Er war in der schlimmen Nacht, die seinen Schicksalsweg plötzlich und unerwartet in eine neue Richtung drängte, bis Ichtershausen durchgewandert, hatte im Gasthaus gefrühstückt und sich vom Wirt einen Wagen nach Erfurt besorgen lassen. Von dort war er nach Weimar weitergefahren, nicht von einem vorbedachten Plan bestimmt, sondern nur von der Überlegung, irgend etwas unternehmen zu müssen. Warum also, als Herr seiner Zeit und im Besitz recht beträchtlicher Geldmittel, nicht die Stätte seliger Jugenderinnerungen einmal wieder besuchen?
Aber die Bilder, die Friedemann aus der Vergessenheit langst verklungener Tage heraufzubeschwören vermochte, blieben matt, und schon am folgenden Morgen sah er sich in die Notwendigkeit versetzt, nunmehr endgültige Beschlüsse zu fassen. Wohin jedoch? -- Nach Naumburg, -- dort in engen Verhältnissen leben, seine Unabhängigkeit verlieren, sich schief ansehen lassen? Nein! -- Kein beschränktes Dasein mehr, kein Zwang zur Arbeit! Frei schaffen, die alte Kraft und Virtuosität zeigen, beweisen, daß Friedemann Bachs Künstlertum würdig ist, mit dem des Vaters in einem Atemzug genannt zu werden! Und wo sollte man solches Ziel schneller und sicherer erreichen
Weitere Kostenlose Bücher