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Friedemann Bach

Friedemann Bach

Titel: Friedemann Bach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Emil Brachvogel
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einen eigentümlichen Geist.
    Ringsum war's still. Der Abend streute seinen violetten Schatten, und die Sterne tauchten verstohlen aus der tiefblauen Flut des Himmels.
    »Solche Augen hatte auch Antonie! So brannte einst ihr Kuß auf meinen Lippen!« murmelte Friedemann im gemächlichen Dahinschreiten. Plötzlich faßte die Zigeunerin nach seinem Arm und zog den Überraschten in den Graben am Weg: »Schnell, schnell! Mir nach! Eine preußische Patrouille ist hinter uns her!«
    Gebückt, mit der Behendigkeit einer Katze, schnellte sie vorwärts, Friedemann hinter sich herziehend. Atemlos verhielten sie am Ufer der Elbe. Towadei nahm ihr Tuch ab und wickelte es sich um die Hüften: »Faß den Zipfel! Schnell! Komm!« Mit den Füßen nach dem Grund fühlend, schritt sie voran ins Wasser. Es reichte ihnen bis unter die Arme, Friedemann mußte seine Tasche und Violine hochhalten. Im Uferschatten gingen sie stromaufwärts bis in die Nähe eines Gehöfts, schlüpften durch die Lücke eines Zaunes, durchquerten einen Gemüsegarten und standen vor einem morschen Brettertürchen. Das Mädchen öffnete es vorsichtig und vergewisserte sich mit einem schnellen Blick, daß das davorliegende Gäßchen menschenleer, der Marktplatz von Königstein, auf den es mündete, hingegen durch biwakierende Soldaten, Marketender, neugieriges Volk desto belebter war. Weder hier noch dort konnte das wassertriefende Paar auffallen, als es mit aller Vorsicht vorbeischlich und in dem Dunkel einer gegenüberliegenden Straße verschwand. Vor einem halbverfallenen Häuschen, in einem verwilderten Garten am Stadtrand versteckt, machte es halt, und die Zigeunerin gab ein Erkennungszeichen. Sofort wurde die Tür geöffnet, und die Ankömmlinge gelangten durch einen finsteren Flur in ein kahles Zimmer. Die Lehmwände waren zerbröckelt, die Dielen waren herausgerissen und dienten zum Unterhalt eines Feuers, das im Herd brannte. Drei Zigeuner saßen davor und blickten träumerisch in die Flammen; sie wandten kaum den Kopf, um den späten Besuch zu begrüßen.
    Towadei richtete das Wort sogleich an einen Mann in grauem, wallendem Bart, den ältesten der drei, von dem eine ehrwürdige, patriarchalische Würde ausgegangen wäre, wenn nicht in dem olivenfarbenen Antlitz ein Zug des Hasses und der Bitterkeit ausgeprägt gewesen wäre; sie erzählte ihm in einer unbekannten Mundart eine lange Geschichte.
    »Ich heiße dich willkommen«, sagte nach einer Pause des Nachdenkens der Alte zu Friedemann, »wie der Hirt den Wolf, wie die Eule den Tag! Es ist deine Bestimmung, unser zu sein! Wir sind an einem schlimmen Ort, wo der Tod lauert, verhalte dich ruhig. Wenn ich dir sage, daß wir österreichische Spione sind und uns unter den Preußen als Musikanten umhertreiben, wirst du wissen, was dich erwarten kann. Du spielst Violine, also können wir dich im Handwerk brauchen. Wenn du aber fliehen oder uns verraten willst, stirbst du wie ein Hund! Wenn sie uns hängen, hängst du auch! Wärme und trockne dich, und wenn du müde bist, leg' dich hin; wenn du Hunger hast, iß -- es gibt Brot und Speck.«
    Das Mädchen fuhr gereizt auf den zynischen Sprecher, ihren Vater los, und er begütigte die heftigen Vorstellungen seiner Tochter mit sanften Worten und Liebkosungen.
    Friedemann hatte sich auf ein Bund Stroh geworfen; er war grenzenlos elend und verzweifelt. Von der philosophischen Höhe seiner Selbstbestimmung herabgerissen, zum Werkzeug des Abschaums der Menschheit, zum Genossen von Verbrechern erniedrigt, in ein Vorhaben gezogen, an dessen Ende nur der Galgen stehen konnte, fühlte er tiefe Reue über den Leichtsinn, mit dem er einer Unbekannten, einer Zigeunerin, gefolgt war und sich ins Chaos der Ereignisse gestürzt hatte. Sein Stolz und sittliches Entsetzen verboten ihm, diesen Elenden nur ein Wort zu gönnen, sie mit Vorwürfen oder Bitten zu ehren, deren Nutzlosigkeit er zudem einsah. Seine einzige Hoffnung war, daß sich ihm irgendeine Gelegenheit zur Flucht bieten würde. -- Er schloß die Augen; von den dargebotenen Speisen rührte er nichts an.
    Es war eine seltsame Gesellschaft, die da um den niedrigen Herd kauerte und von der unsteten Flamme beleuchtet wurde. Neben dem Alten, dem Dadi, und seiner Tochter Towadei hockte ein etwa zehnjähriger Junge. Bald stand er auf, eilte in die Nacht hinaus, kehrte nach kürzerer oder längerer Zeit zurück, flüsterte mit dem Dadi. »Gut, Papinori!« lobte der ihn dann, und der Knabe wärmte sich am Feuer, um wieder zu

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