Friedemann Bach
verschwinden und wieder zu kommen. Der dritte im Bunde war Tzoukel; die Merkmale des Zigeuners waren nur schwach in seinen Zügen ausgeprägt, dafür aber um so mehr die eines skrupellosen Verbrechers. Er sprach nur Rotwelsch, das Gauneridiom.
Friedemann war in einen unruhigen Dämmerschlaf gesunken. Er kam erst zu sich, als ihn jemand bei den Händen nahm und in schmerzlichem Tone sagte: »Du verachtest mich?« -- Unwillig aufspringend wollte er die Zigeunerin von sich stoßen, aber sie drängte sich an ihn, umklammerte seine Schulter: »Bleib! Ich weiß, du willst fliehen. Ich habe dich errettet vor dem Schlimmsten, habe dich hierher in das Versteck derer gebracht, die ich liebe, und sie der Gefahr ausgesetzt, verraten zu werden. Mich magst du verachten, aber nimmer werd' ich zugeben, daß die Meinen dafür leiden, daß ich mit einem Elenden Erbarmen hatte. Die Nacht ist bald um, wir gehen aus der Stadt. Wenn wir außer Gefahr sind, sollst du deines Weges ziehen -- wenn du kannst! Das aber sage ich dir: gehst du tatsächlich, so wirst du enden wie ein Tier!«
Sie ging hinaus, und der Mann, gedemütigt und doch mit unerklärlicher Gewalt von diesem zerlumpten Weibe voll aufreizender Schönheit angezogen, folgte ihr nach. Durch Gärten und Felder über heimliche Pfade schleichend, erreichten sie das freie Feld vor der Stadt. An den Gräsern schimmerte der Reif, und eine eisige Kälte schüttelte Friedemanns Glieder.
»Nimm meine Decke«, sagte Towadei, als sie es bemerkte, »ich friere nicht. Die Kinder unseres Volkes wissen nicht, was Hitze und Kälte ist, aber du bist's nicht gewöhnt.«
»Nein!« wehrte er ab, »ich werde Armut und Kälte ertragen lernen.«
Sie schlug das Tuch wieder um sich und zeigte auf den Berg, der, matt vom Mondlicht beschienen, vor ihnen auftauchte: »Kennst du ihn?«
Ein tiefer Seufzer entrang sich Friedemanns Brust: »Den Königstein? -- O ja, Ich kenne ihn recht gut ... Aber dort, Towadei« -- und er verhielt den Schritt -- »dort am Waldrand auf der Straße ... siehst du? ... Lichter, die hin und her wandern. Was bedeutet das?«
»Ha, das ist die Vergeltung! Jetzt flieht er außer Landes, der Verfluchte, der Leuteschinder! Bhowané, die alte Mutter der Liebe und des Hasses, hat über ihn gerichtet. Sie geißelt ihn, Brühl muß fliehen!«
»Was, was sagst du da, Weib? Brühl, der Minister Brühl, muß fliehen?«
»Ja! Nach Polen zu seinem Herrn.«
»Ich danke dir für diese Nachricht, Mädchen! Komm, laß uns eilen, damit wir ihn sehen!«
Sie liefen die Straße entlang und trafen mit Dadi, dem Jungen und Tzoukel zusammen, die Klarinette, Tamburin und Stockfiedel trugen und einem Trupp Wandermusikanten glichen. »Los, aufgespielt!« schrie ihnen Friedemann zu, nahm seine Violine unters Kinn und tanzte geigend einer Lichtung zu, in der bei Fackelschein letzte Vorbereitungen zu einer eiligen Abreise getroffen wurden. »Aufgespielt, Gesindel!« brüllte er noch einmal seine neuen Lebensgefährten an, »aufgespielt zum Kehraus für den großen Brühl!«
Der fliehende Minister zog sich fröstelnd den Mantel enger um die Schultern. Die Pferde zogen an. Da tat Friedemann einen plötzlichen Sprung, stand auf dem Trittbrett des Wagens, rief gellend: »Glückliche Reise, Herr Schwiegervater!«
»Mein Gott«, ächzte der Minister, »Friedemann Bach!«
Der Kutscher gab seinen Tieren die Peitsche. Vielstimmiges Gelächter flog der Equipage nach.
»Nun aber weiter!« mahnte der Dadi, als das Räderrollen verhallt war. »Der Morgen ist nicht mehr fern, und wir haben keine Lust, den Preußen in die Hände zu fallen.«
»Geht schon voraus!« entgegnete Towadei. »Ich habe noch allein mit ihm zu reden.«
Und wieder brannten die großen Rätselaugen der Zigeunerin in verzehrendem Feuer, als sie dem vor sich hinbrütenden Manne das einzige Wort hinwarf: »Nun?«
»Nein«, sagte Friedemann, »verraten werde ich euch nicht, denn du hast mir Gutes erwiesen, Towadei. Aber ich gehe nicht mit euch! Ich will nicht unter Dieben und Räubern leben, ich will mich ehrlich durch die Welt bringen, mir mein Brot mit meiner Geige von Dorf zu Dorf erspielen. Es ist nicht zum erstenmal!«
»Höre mich denn, ehe du ins Verderben gehst«, erwiderte Towadei mit einer Mischung tiefsten Mitleids und feierlichen Ernstes, »und verflucht sei die Seele meiner Mutter, wenn ich lüge: Ich verspreche dir, daß du nie stehlen, nie etwas gegen dein Gewissen tun sollst! Komm mit mir! Komm, ehe es zu spät
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