Friedemann Bach
eine alte, schwarzverschleierte Dame verborgen, die äußerst aufgeregt war.
Plümicke hatte hinter der Szene zu tun. Unruhe und Beklommenheit trieben ihn fahrig hin und her. Was mochte nur mit Friedemann Bach los sein? Am Mittag war er nicht gekommen, die Vermutung, er könne sich heimlich vielleicht doch im Zuschauerraum aufhalten, stellte sich als falsch heraus, und auch vor dem Gebäude war er nicht zu finden gewesen.
Die Vorstellung begann. Der Kapellmeister hob den Taktstock, es wurde still im weiten Raum ...
Es blieb still, feierlich still im weiten Raum, bis Lasus, im halben Wahnsinn zur Laute greifend, sein Lied beendete, in das als fernes, grausiges Echo der Ruf der Furien: »Verderben ... Verderben!« unheilverkündend hineinschrillte:
»Entzwei des Lebens Blütenkranz,
Verraucht des Ruhmes Träumen.
Verflucht seist du, verhaßter Tanz,
Des Lebens Wogenschäumen!
Gleich Luft und Schall verflattert sei
Mein Wähnen, Wähnen, Wähnen --
Das Ende meines Seins ist Reu'
Und Tränen, Tränen, Tränen.«
Der Vorhang fiel. Ein Sturm des Beifalls erschütterte das Haus. Man rief nach den Darstellern. Wieder und wieder mußte sich der Vorhang heben und senken. Man verlangte nach dem unbekannten Komponisten. Man wollte ihn sehen, diesen »alten Musiker«. Umsonst! Döbbelin gab dem Publikum eine entschuldigende Erklärung ab. Dann wenigstens den Namen! Auch den nicht!
Da erhob sich Naumann in seiner Loge, beugte sich weit über die Brüstung und rief: »Der Komponist ist Friedemann Bach, der Sohn des großen Musikers!«
Neuer Jubel brauste auf ...
Und aus dem Schatten des Theatereingangs löste sich eine verlumpte Gestalt, die trotz der schönen Maiennacht von Frostschauern durchschüttelt wurde; sie wankte taumelnd davon, dem Stadtviertel des Elends zu, sie murmelte: »Ich hab's erreicht, Vater!«
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Am folgenden Mittag wartete Plümicke wiederum vergeblich auf seinen greisen Freund. Er befürchtete nun das Schlimmste, vermochte aber in keinerlei Weise helfend einzugreifen, weil er den Aufenthaltsort des »alten Musikers« nicht kannte. Er beriet sich mit Frau von Eichstädt und Naumann, und sie kamen überein, den Grafen Gotter zu benachrichtigen.
»Ich danke Ihnen verbindlichst für Ihre Mitteilungen«, sagte der Graf, nachdem er sich auch über die kleinsten Nebenumstände unterrichtet hatte, »und darf Sie versichern, daß nichts unversucht bleiben wird, um Friedemann Bach zu finden. Ich fahre sofort zu Seiner Majestät.«
Fredersdorff, der alte Kammerdiener des Königs, wollte Gotter anfangs nicht melden, da sich die Minister zu einer wichtigen Konferenz im Arbeitszimmer des Monarchen bereits versammelt hatten, wagte auf die bittenden Vorstellungen des Audienzheischenden hin aber schließlich doch die Störung.
»Hat der Gotter keine bessere Zeit gewußt als jetzt?« fragte der König etwas ungehalten. »Na, er mag kommen!«
»Majestät wollen gnädigst verzeihen ...« begann der Eintretende, wurde aber von Friedrich unterbrochen: »Schon gut, Gotter! Das muß schon was sehr Dringendes sein, wenn Er gerade jetzt kommt. Was will Er?«
»Majestät haben mir gegenüber einmal von der letzten Unterredung mit dem verstorbenen Johann Sebastian Bach gesprochen und dabei auch des Versprechens Erwähnung getan, das Sie ihm wegen seines Sohnes Friedemann gaben.«
»Na, und?«
»Dieser Friedemann Bach lebt unbekannt und verborgen, vollkommen verelendet und krank in Berlin. Er hat trotz seinem Zustand eine Oper komponiert, von der, bei maßlosem Applaus, gestern einige Teile aufgeführt wurden. Da der Mann nirgends zu finden und so herunter ist, daß man seine Auflösung befürchten muß, hielt ich's für meine Pflicht, sofort Meldung zu erstatten.«
Der König fuhr betroffen auf: »Was sagt Er da? In Berlin, krank, in Armut? Und hat ein Meisterwerk geschrieben? Bei Gott, der Fall ist mir wichtig! Philippi soll den Bach sofort suchen lassen, jede Minute ist kostbar! Ich bestelle Ihn zur Überwachung, Gotter, und mache Ihm die äußerste Fürsorge zur Pflicht, wenn man den Alten gefunden hat! Ich muß dem toten Vater mein Wort halten, und Er steht mir dafür, Graf Gotter, daß ich's kann! -- Eile Er nun! Ich erwarte Ihn bald mit günstiger Antwort!«
Als Friedrich die Ministersitzung beendet hatte, ging er, jede Begleitung ablehnend, langsam ins Zedernzimmer. Er entnahm einem besonderen Fache seiner Bibliothek ein Notenmanuskript, das ihm Meister Sebastian einst dediziert hatte, griff nach der
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