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Friedemann Bach

Friedemann Bach

Titel: Friedemann Bach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Emil Brachvogel
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kommen wir.«
    Froh, seine selbst übernommenen Verpflichtungen mit solch gutem Erfolg erledigt zu haben, eilte der Offizier zu den Wartenden zurück und traf Friedemann in wesentlich ruhigerem Zustand an. Zwar war er noch einmal in tobsüchtige Erregung gefallen und hatte nach deren Abklingen mit tierhaft-schrillen Lauten wiederum das Lied »Willst du! dein Herz mir schenken?« angestimmt, hatte es mit der Methodik des Wahnsinns gar als Fuge zu variieren versucht, war dann aber von Doles zum Verstummen gebracht worden. Mitten im Gesange war der Freund plötzlich aufgesprungen, hatte wie unsinnig aufgeschrien und dem Irren ins Ohr geflüstert: »Antonie stirbt, Antonie stirbt! Friedemann, singe nicht mehr! Der Tod hat mir diese Nacht gesagt: ›Will sie ihr Herz dem Friedemann schenken, so soll er's gerade nicht haben, dann mach' ich, daß Antonie stirbt!‹ Laß also ja das Singen!«
    Seit dieser Minute war der junge Bach ruhig, gleichsam nachdenklich geworden, und folgsam wie ein Kind bestieg er, als die Nacht hereinbrach, den Wagen, der ihn zu Merperger brachte.
    In dem massiven Gartenhäuschen, das Zimmer, Kabinett und eine kleine Sommerküche enthielt, heizbar war und mitten in dem baumbestandenen großen Pfarrgarten lag, wurde der Kranke gut und zweckmäßig untergebracht. Von Ulrike und ihrem Vater, Doles und dem alten Bach stets umgeben und gepflegt, hatte er nie Zeit, sich Reflexionen zu überlassen, und wenn er wirklich einmal in unheilvolle Betrachtungen zu verfallen drohte, wurden seine Gedanken sofort von ihnen erfaßt und in eine Richtung geleitet, die gefahrlos war. Trotzdem kam es mitunter vor, daß er unversehens zur Monomanie zurückkehrte und das verhängnisvolle Lied anstimmte; aber es bedurfte dann nur eines Winkes von Doles, und er beruhigte sich sofort wieder. Langsam wurde der Wahnsinn gebrochen, aber behoben war die Krankheit darum nicht. Und je vernünftiger er nach und nach wurde, um so mehr empfand er das Entsetzliche seiner gesellschaftlichen Lage, den Ikarussturz seiner Hoffnung, den Tod seiner Liebe, den Zusammenbruch seines künstlerischen Wollens.
    Merperger konnte nur noch in einzelnen Stunden um ihn sein, da die Berufsgeschäfte ihn unausgesetzt in Anspruch nahmen, und auch Sebastian Bach, der sein Amt an der Thomasschule nicht länger vernachlässigen durfte, reiste nach einer Woche schweren Herzens nach Leipzig zurück. Doles schlief zwar bei dem Kranken, hatte aber auf Bitten des Predigers dessen Organistentätigkeit übernommen und war daher viel in der Kirche. So ruhte die schwere Pflicht der Samariterliebe fast ganz auf Ulrike und forderte von ihr eine unsägliche Kraft der Aufopferung und Entsagung, der Zähigkeit im Tragen bitterer Schmerzen; denn eine Belohnung winkte ihr nicht, es sei denn -- jenseits des Grabes.
    Friedemann erfaßte in seinen hellen Stunden die liebevolle Besorgtheit Ulrikes in ihrer ganzen Tiefe und Bedeutung, er empfand es mit einem Gefühl der Rührung, wie ungemein er dieses Mädchen verkannt hatte, -- und wie wenig er trotzdem in der Lage sei, dieser nimmermüden selbstlosen Opferbereitschaft seinerseits ein Opfer zu bringen. Unauslöschlich brannte in ihm das Bild der fernen Antonie. Und um diesen Punkt drehte sich die Krankheit, die immer mehr die Form einer gleichsam erstarrten Melancholie annahm, im Kreise.
    Von den alten Freunden Friedemanns wußten nur wenige von seinem Unglück und Verbleib, und wenn sie Kenntnis davon hatten, wagten sie aus Furcht vor Brühls Rache nicht, nach ihm zu fragen. Nur der biedere Stadtsyndikus Weinlich und Frau von Schemberg ließen sich nicht beirren und besuchten ihn regelmäßig. »Die größte Canaille, die je einen Thron umwedelt hat«, nannte Frau von Schemberg den Minister nur, und wie sie in weiblich-warmem, tiefem Mitempfinden sich in Liebesbeweisen für ihren leidenden Schützling erschöpfte, so machte sie aus ihrer Verachtung, ihrem Haß und ihren Rachegedanken gegen den Urheber des ganzen Unglücks auch in der Öffentlichkeit kein Hehl.
    Sie erreichte damit jedoch nur, daß Brühl von dem Aufenthaltsort Friedemanns Wind bekam und sofort seinen Saul zu Merperger hetzte, um diesem ausrichten zu lassen, es werde höheren Orts übel vermerkt, daß ausgerechnet ein Religionslehrer einen bestraften Taugenichts in sein Haus aufgenommen habe; man lege ihm, wolle er höchst unangenehme Folgen vermeiden, dringend nahe, sich besagten Subjektes schleunigst zu entledigen.
    »Mein Herr Saul«, antwortete der

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