Friedemann Bach
Eitelkeit gehabt und mehr Sinn fürs Schlichte, ich hätte Sie lieben müssen, Ulrike! Aber ich versäumte meine gesegnete Stunde, kostete von dem verbotenen Trank des Schimmers, ich sah Antonie, wir liebten uns, und -- es ist entsetzlich! -- ich kann von dieser Liebe nicht lassen, so sehr ich sie bereue. Ich kann nicht aufhören, mich nach diesem Mädchen zu sehnen, -- und weiß doch, daß ich sie nie besitzen kann! Ulrike, können Sie mir verzeihen, so von Herzen verzeihen?«
Er umarmte das in Tränen zerfließende Mädchen, preßte sein Gesicht an ihre Schulter und schien seinem Schmerz erliegen zu wollen.
»Lieber Friedemann«, -- und mit aller Kraft der Seele bezwang sie sich -- »Sie sind so edel und gut! Ja, Sie müssen Antonie ungeschwächt lieben, ich weiß es, -- aber nun, da Sie langsam genesen, müssen Sie auch von dem ewigen Nachhängen Ihres Fühlens, Träumens und Sehnens sich frei machen und männlich handeln! Zerbrochene Liebe ist ein großes Unglück im Leben, aber Sie, der Mann, sind nicht allein zur Liebe gemacht. Die Menschheit, Gott und Welt sind die größeren, edleren und schöneren Ziele, die Sie zum Dienst anrufen. Vielleicht hat es der liebe Gott haben wollen, daß Sie erst recht groß und schön sein sollen in Ihrer Kunst, wenn Sie die Trümmer Ihres Herzens zum Sockel Ihrer Taten nehmen. Glauben Sie mir«, -- wie eine Seherin stand das Mädchen vor ihm -- »mit Freuden will ich mein armes Herz drum geben, und Ulrike wie Antonie mit ihrem Einzelschmerz sind nichts, wenn Sie fähig werden, wie David ein Königssänger für Gott und Menschheit zu sein!«
»Ja, Ulrike, du Einzige! Von dir geleitet, will ich's tun!«
»Wollen Sie das, Friedemann?«
»Ja, ja, ich will's! Sag mir, wie ich's kann?!«
Wie um Kraft und Segen bittend, faltete Ulrike ihre bebenden Hände: »Gott, mein Vater, laß es geschehen!« Sie führte Friedemann ans Klavier: »Ich unterwerfe Sie als Künstler, als Mann, als Diener Gottes einer schweren, -- der schwersten Prüfung! Haben Sie meinen starken Willen und kaltes Blut?«
Friedemann sah sie an: »Ja, Ulrike!«
»So spielen Sie mir das schicksalsschwere Lied ›Willst du dein Herz mir schenken‹ und fugieren Sie es!«
Friedemann war starr und bleich; in ihm kämpfte es. Leise öffnete sich die Tür, und in der schmalen Spalte zeigten sich die verstörten Gesichter Doles' und des Predigers ...
Friedemanns befestigter Wille siegte.
Er begann das Thema leise und ernst, modulierte es in Moll, aus dem Diskant in den Baß, durch alle Umkehrungen und Verschlingungen. Es war, als ob die Liebesklage mit der freien Kraft des Mannesstolzes kämpfte, bis aus Liebeslust und Liebesleid siegreich und triumphierend ein Choral emporstieg, ein hohes, freies Gotteslied, ein Dankopfer der Selbstbefreiung.
Friedemann stand auf: »Ulrike, das war die Krönung Ihrer Edeltat!« Er weinte Dankestränen.
»Er ist genesen!« hauchte das Mädchen und sank ermattet an des herzueilenden Vaters Brust; Doles schloß den Freund jubelnd in seine Arme.
Auch der Arzt, sichtlich verwundert über die plötzliche Wendung des Krankheitsverlaufes, erklärte ihn nach vierwöchiger unausgesetzter Beobachtung für geheilt. »Allerdings«, fügte er hinzu, »ist mit einem Wiederausbruch des Wahnsinns zu rechnen, sobald sein Gemüt einen neuen Stoß erleidet. Dann aber ist kaum mehr zu helfen!«
Merperger setzte Vater Bach von dem Geschehenen in Kenntnis, und Friedemann selbst schrieb an ihn, daß er sich stark genug fühle, wieder seinem Berufe zu dienen. Sebastian hatte längst beschlossen, den Sohn zunächst einmal bei sich in Leipzig zu beschäftigen und ihn nach Kräften für die Stürme des Lebens geschickter zu machen; er holte ihn ungesäumt von Dresden ab.
Friedemann nahm Abschied, und mit besonders tiefer Bewegung des Dankes und der Freundeszärtlichkeit von Ulrike: »Ob wir uns noch einmal wiedersehen im Leben? ... Verzeihen Sie mir! Behalten Sie mich lieb!« --
Doles begleitete Vater und Sohn eine Strecke Wegs; dann ging er zu Fuß zurück, bei sich überlegend, daß er nun, nachdem Friedemann zum zweitenmal verzichtend an Ulrike vorbeigeschritten sei, das ehrliche, unantastbare Recht habe, um die auch von ihm heiß geliebte zu werben und sie für sich zu gewinnen.
Aber erst, als ihm der Ruf seines Orgelspiels eine Organistenstelle in Freiberg eingetragen hatte, trat er aus seiner stummen Anbetung und scheuen Zurückhaltung heraus. »Liebe Ulrike«, sagte er, als er von ihr schied,
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