Frieden auf Erden
das Vorhaben für vollauf gerechtfertigt.
Meine neuen Bekannten erwiesen sich als begeisterte Fans meiner STERNTAGEBÜCHER. Es handelte sich um Doktor Rorty, Ingenieur Tottentanz und die Gebrüder Cybbilkis, Zwillinge, die ich an ihren Krawatten zu unterscheiden lernte. Beide waren Mathematiker. Castor, der Ältere, befaßte sich mit Algomatik, das heißt der Algebra solcher Konflikte, die für alle beteiligten Seiten ein fatales Ende haben. (Dieser Zweig der Spieltheorie wird daher zuweilen als Sadistik bezeichnet, die Kollegen nannten Castor einen Sadistiker, und Rorty behauptete sogar, er heiße mit vollem Namen Castor Oil – das aber war wohl ein Scherz.) Pollux, der andere Cybbilkis, war Statistiker und besaß die seltsame Angewohnheit, nach längerem Schweigen mit gänzlich abseitigen Fragen ins Gespräch einzugreifen, Fragen der Art etwa, wie viele Leute auf der Erde in diesem Augenblick in der Nase bohren mögen. Als phänomenaler Kopfrechner überschlug er so etwas im Handumdrehen.
Einer dieser Herren empfing mich artigerweise unten im Vestibül, das so groß war wie ein Shuddle-Hangar. Mit dem Lift fuhren wir zu den Arbeitsräumen der Brüder Cybbilkis oder aber zu Professor Jonas Kuschtyk, der ebenfalls in meine Bücher vernarrt sein mußte, da er mich mit Angabe von Seitenzahl und Ausgabejahr zitieren konnte. Kuschtyk befaßte sich – ebenso wie Tottentanz – mit der Theorie der Sendlinge, die auch Teleferistik genannt wird und ein neues Fachgebiet der Robotertechnik darstellt: Fernbemannung oder Präsenzübertragung (früher sagte man dazu auch »telepresence«). »Wo der Mensch nicht selber hinkann, schickt er einen Sendling hin«, lautet das Motto der Teleferisten. Kuschtyk und Tottentanz waren es auch, die mich dazu brachten, einmal diese Fernbemannung zu genießen, mich also veräußern zu lassen. Ein Mensch nämlich, dessen sämtliche Sinne per Funk auf den Sendling übertragen werden, gilt als steuervollstreckt oder fernentäußert . Bereitwillig ging ich darauf ein, und erst viel später bekam ich mit, daß nicht die Begeisterung, sondern die Dienstpflicht sie zur Lektüre meiner Werke getrieben hatte. Neben einer Reihe anderer Lunar-Agency-Leute, deren Namen ich nicht nenne, um sie nicht unsterblich zu machen, sollte ich nach und nach in das Projekt »Mondmission« hineingezogen werden. Warum nach und nach? Weil ich ja einfach ablehnen und, nachdem ich alle Geheimnisse der Mission kennengelernt hatte, nach Hause gehen konnte, statt auf den Mond zu fliegen! Na und, könnte jemand einfältig fragen, hätte der Himmel denn davon ein Loch bekommen? Ja, das war ja gerade der Witz: Er hätte! Der Mann, der von der Lunar Agency unter Tausenden ausgewählt wurde, mußte sich durch höchste Kompetenz und Loyalität auszeichnen. Die erstere versteht sich von selbst, aber was war mit der letzteren? Gegen wen sollte ich mich loyal verhalten? Gegen die Agentur? In gewissem Sinne jawohl, denn sie repräsentierte die Interessen der Menschheit. Es ging darum, daß weder ein einzelner Staat noch eine Gruppe oder mögliche Geheimkoalition von Staaten die Ergebnisse der Monderkundung erfahren durften, falls diese gelang. Wer nämlich als erster den Stand der dortigen Rüstung kennenlernte, kam dadurch in den Besitz strategischer Informationen, die ihm ein Übergewicht auf der Erde verliehen. Der auf dieser herrschende Frieden war, wie daraus ersichtlich wird, alles andere als ein Idyll.
Diese Wissenschaftler, die mich mit Herzlichkeiten überhäuften und wie ein Kind mit den Sendlingen spielen ließen, führten in Wahrheit eine Sektion an meinem lebenden Gehirn durch, genauer gesagt, sie halfen dabei den Computern, die unsichtbar allen unseren Plaudereien beiwohnten. Castor Cybbilkis mit seinen surrealistischen Krawatten war als Theoretiker der mit einem Pyrrhussieg endenden Konflikte zugegen, denn solche wurden mit mir oder gegen mich ausgetragen. Um die Mission annehmen oder ablehnen zu können, mußte ich sie vorher kennenlernen. Wenn ich den Auftrag aber, nachdem ich ihn kannte, verweigerte oder ihn übernähme und die nur mir bekannten Ergebnisse der Erkundung an Außenstehende verriete, wäre der Zustand erreicht, den die Algomatiker den präkatastrophalen nennen. Es gab viele Kandidaten, sie waren von verschiedener Nationalität, Rasse und Ausbildung und hatten unterschiedliche Leistungen aufzuweisen – ich war einer von ihnen, hatte davon aber nicht die geringste Ahnung. Der Auserwählte sollte
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