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Frieden auf Erden

Frieden auf Erden

Titel: Frieden auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Elektroden zu schlüpfen. Niemand hatte geahnt, welche Erschütterungen diese Technik für das menschliche Leben mit sich brachte, an erster Stelle für die Erotik, vom Eheleben bis hin zum ältesten Gewerbe der Welt. Die Juristen wurden vor völlig neue Probleme gestellt. Vor dem Gesetz waren Intimitäten, die jemand mit einer »sex doll« vornahm, kein Ehebruch und somit kein Scheidungsgrund. Es spielte keine Rolle, ob die »sex doll« ausgestopft war oder mit einer Luftpumpe aufgepumpt werden mußte, ob sie Vorder- oder Hinterantrieb, ein automatisches Getriebe oder Handschaltung hatte – von Ehebruch konnte ebensowenig die Rede sein, als wenn jemand es mit einem Astloch getrieben hätte. Die Erzeugnisse der Teleferistik zwangen das Zivilrecht aber zu der Entscheidung, ob eine Person, die sich im Ehestand befand und sich in einen Sendling versetzte, damit Ehebruch beging oder nicht. Der Begriff der »Fernuntreue« wurde in den Fachzeitschriften und der sonstigen Presse heftig diskutiert. Es war erst der Anfang der schwierigen Fälle. Darf man beispielsweise die eigene Frau mit dieser selbst betrügen, wobei letztere jünger ist als in Wirklichkeit? Ein gewisser Adlai Groutzer hatte bei der Gynandroics-Filiale in Boston seine eigene Frau kopieren lassen, freilich nicht im Alter von 59, sondern von 21 Jahren. Das Problem komplizierte sich dadurch, daß Mrs. Groutzer in ihrem 21. Lebensjahr noch die Ehefrau von Mr. James Brown gewesen war, von dem sie sich zwanzig Jahre später scheiden ließ, um Mr. Groutzer zu heiraten. Die Sache schleppte sich durch sämtliche Instanzen. Die Gerichte hatten festzustellen, ob eine Ehefrau, die die von ihrem Mann erworbene Fernkopie nicht intim bewegen will, ihm damit den ehelichen Verkehr verweigert. Sind Inzest, Sadismus und Masochismus oder gar Homosexualität durch Fernbedienung möglich? Eine Firma brachte eine Serie von Mannequins auf den Markt, die man durch einen Griff in die Ersatzteilkiste in Damequins und sogar in Zwitter umwandeln konnte. Die Japaner überschwemmten die USA und Europa mit Zwittern zu Dumpingpreisen: Ein Handgriff genügte, um ihr Geschlecht einzustellen (nach dem Prinzip »Drehst du links, dann ist nichts drauf, drehst du rechts, dann steht der Knauf«!). Zur Kundschaft der Gynandroics soll auch eine große Zahl hochbetagter Prostituierter gezählt haben, die persönlich keine Chance mehr hatten, ihrem Beruf nachzugehen, sich jedoch, da sie über langjährige Routine verfügten, durch hohe Steuerkunst auszeichneten.
    Die Probleme blieben natürlich nicht auf die Erotik beschränkt. Ein zwölfjähriger Schüler zum Beispiel, dessen Rechtschreibefehler beim Diktat mit einer schlechten Note bestraft wurden, benutzte einen athletisch gebauten Sendling, um den Lehrer windelweich zu prügeln und ihm die Wohnung zu demolieren. Dieser Sendling war ein sogenannter Haushüter, ein Modell, das reißenden Absatz fand, und der Vater des Schülers hielt ihn in einer Hütte auf seinem Grundstück, um es vor Dieben zu schützen. Deswegen ging der Eigentümer stets in einem Spezialpyjama mit eingenähten Elektroden zu Bett, und wenn die Alarmanlage die Anwesenheit fremder Personen anzeigte, brauchte er nicht einmal aufzustehen, um sogar mit mehreren Einbrechern fertig zu werden und sie bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten. Der Sohn hatte den Pyjama benutzt, während der Vater abwesend war. Auf den Straßen sah ich häufig Mahnwachen und Demonstrationen, die sich gegen Gynandroics und vergleichbare japanische Produzenten richteten.
    Sie wurden überwiegend von Frauen gestellt. Die Gesetzgeber in den wenigen Staaten der USA, in denen Homosexualität noch unter Strafe stand, gerieten in Panik, weil sie nicht wußten, ob ein Schwuler, der in einen anderen Mann verliebt ist, sich jenes Delikts schuldig machte, wenn er dem anderen einen verführerischen weiblichen Sendling unterschob, den er persönlich steuerte. Es entstanden neue Begriffe wie telemate  – die Ferngespielin, die die Geliebte oder die Ehefrau sein konnte. Nachdem der Bundesgerichtshof es schließlich für zulässig und in den Rahmen ehelicher Beziehungen gehörig erklärt hatte, daß Ehepartner in gegenseitigem Einvernehmen ihre Beziehungen per procura (also per Sendling) pflegen, ergab sich der Fall Kuckerman. Er war Vertreter, sie leitete einen Friseursalon. Beide waren selten zusammen, sie konnte ihren Salon nicht verlassen, und er war ständig auf Reisen. Zum indirekten Vollzug ihres Ehebundes

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