Frieden auf Erden
Paridon begleitete uns zum Parkplatz, bis ans Auto, und wir verabschiedeten uns. Tottentanz und Blahouse hüllten sich auf der Rückfahrt in ein sonderbares Schweigen, und auch ich hatte keine Lust zum Reden. Noch aber war der Tag nicht vorüber.
Zu Hause fand ich im Briefkasten ein dickes Kuvert, darin ein Buch mit dem langen Titel DEHUMANIZATION TREND IN WEAPON SYSTEMS OF THE TWENTY FIRST CENTURY or UPSIDE DOWN EVOLUTION.
Der Verfasser hieß Meslant, der Name sagte mir nichts. Der Band war großformatig, schwer und solide, voller Diagramme und Tabellen. Da ich nichts Besseres vorhatte, setzte ich mich in einen Sessel und begann zu lesen. Auf der ersten Seite, vor dem Vorwort, stand ein Motto in deutscher Sprache:
»Aus Angst und Noth
Das Heer ward todt.«
Eugen von Wahnzenstein
Der Autor präsentierte sich als Experte für die neueste Geschichte des Militärwesens. Nach seinen Worten läßt sich dieser Geschichtsabschnitt durch zwei aphoristische Schlagwörter des ausgehenden 20. Jahrhunderts markieren: der Anfang durch FIF (»FIRE AND FORGET«), das Ende durch LOD (»LET OTHERS DO it«). Der Vater des modernen Pazifismus war der Wohlstand, seine Mutter die Angst. Beider Paarung erzeugte den Trend einer Entmenschung des Krieges. Immer weniger Menschen wollten Waffen tragen, und dieser Schwund an kriegerischem Geist verhielt sich direkt proportional zum Lebensstandard. Die edle Maxime »Dulce et decorum est pro patria mori« galt den Jugendlichen der reichen Länder gerade so viel wie der Werbespot eines Beerdigungsunternehmens. Gerade in jener Zeit setzte ein Kostenrückgang in der elektronischen Industrie ein. Die bisher als Rechenelemente verwendeten CHIPS wurden durch Produkte der genetischen Ingenieurskunst ersetzt, die man CORN nannte. Man hatte diesen Getreidenamen für sie gewählt, weil sie aus der Zucht künstlicher Mikroben stammten, hauptsächlich der des nach dem Schöpfer der Kybernetik benannten SILICOBACTERIUM LOGICUM WIENERI. Eine Handvoll dieser Elemente kostete nicht mehr als eine Handvoll Hirse. Die künstliche Intelligenz wurde also billiger, während die neuen Waffengenerationen sich in geometrischer Progression verteuerten. Im Ersten Weltkrieg hatte ein Flugzeug soviel wie ein Auto, im Zweiten soviel wie zwanzig Autos gekostet – gegen Ende des Jahrhunderts kostete es bereits das 600fache. Man hatte ausgerechnet, daß selbst eine Supermacht sich in 70 Jahren nur noch 18 bis 22 Flugzeuge würde leisten können. Diesem Schnittpunkt zweier Kurven – der des Kostenrückgangs bei der Intelligenz und der der Kostensteigerung bei den Waffen – entsprang der Trend einer Entmenschung der Streitkräfte. Die Armeen wandelten sich aus einer lebendigen in eine tote Kraft. Die Welt machte damals zwei schwere Krisen durch: die erste, als das Erdöl sich jäh verteuerte, die zweite, als es kurz darauf ebenso plötzlich wieder billiger wurde. Die klassischen Gesetze der Ökonomie des Marktes verloren ihre Wirkung, aber man war sich über die Aussage dieses Phänomens ebensowenig im klaren wie darüber, daß die Figur des uniformierten, heimbewehrten Soldaten, der zum Bajonettangriff übergeht, in der Vergangenheit versank, um ihren Platz im Museum neben den in Stahl geschmiedeten Rittern des Mittelalters zu finden. Infolge des geistigen Beharrungsvermögens der Techniker wurden noch eine Zeitlang großdimensionale Waffen gebaut: Panzer, Geschütze, Transportfahrzeuge und anderes Schlachtgerät, das für Menschen bestimmt war und selbst dann noch so groß gebaut wurde, als es bereits selbsttätig und ohne Menschen eingesetzt werden konnte. Diese Phase der Panzergigantomanie erfuhr jedoch bald einen Knick und schlug um in eine Phase der beschleunigten Miniaturisierung.
Sämtliche bisherigen Waffensysteme waren auf den Menschen zugeschnitten gewesen: auf seine Anatomie, damit er mit ihnen erfolgreich töten, auf seine Physiologie, damit er erfolgreich getötet werden konnte.
Wie es in der Geschichte zu gehen pflegt, begriff niemand, was da heraufzog. Die Entdeckungen, die sich zum DEHUMANIZATION TREND IN NEW WEAPON SYSTEMS vereinigen sollten, waren nämlich in sehr weit voneinander entfernten Zonen der Wissenschaft gemacht worden. Die Intellektronik produzierte Mikrorechner, die so billig waren wie Gras, die Neuroentomologie hingegen hatte endlich das Rätsel der Insekten geknackt, die – wie etwa die Bienen – in einem Gemeinwesen leben, für gemeinsame Ziele arbeiten und sich mit einer eigenen
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