Frieden auf Erden
waren sie zwar bereit, konnten sich jedoch nicht einig werden, ob die Vermittlung über einen Sendling, der den Mann oder die Frau ersetzte, erfolgen sollte. Ein Nachbar, der den Kuckermans aus reiner Nächstenliebe helfen wollte, riet zu dem Kompromiß, ein teleferistisches Paar zu benutzen – ein ferngesteuerter Mann und eine ferngesteuerte Frau erschienen ihm als salomonische Lösung des Dilemmas. Die Kuckermans jedoch wiesen diesen Einfall als blödsinnig und beleidigend zurück. Sie konnten sicher nicht ahnen, daß ihr Streit, nachdem die Presse über ihn berichtet hatte, das Phänomen der sogenannten teleferistischen Eskalation herbeiführen würde: Man konnte den Anzug mit den Elektroden auch einem Sendling anlegen, damit dieser einen anderen Sendling steuerte, dieser wiederum einen dritten und so weiter. Dieses Konzept fand begeisterten Anklang in der Unterwelt. Auf ähnliche Weise, wie sich ein Funkgerät ausfindig machen läßt, konnte festgestellt werden, von wo aus ein konkreter Sendling gesteuert wurde. Dieser Methode pflegte sich die Polizei bei teleferistisch verübten Einbrüchen oder Morden zu bedienen. Wurde der Täter jedoch von einem andern Sendling ferngesteuert, so mußte erst dieser angepeilt werden, und ehe man ihn erwischte, konnte der Mensch, der der eigentliche Täter war, seinen Funkverkehr mit dem zwischengeschalteten Sendling abbrechen und seine eigene Spur verwischen.
Die Kataloge der TELEMATE CO. und der japanischen Firma SONY boten männliche Versionen vom Liliputaner bis zu King Kong sowie unübertreffliche Reproduktionen berühmter historischer Frauengestalten, wie der Nofretete, der Cleopatra und der Königin von Navarra, sowie zeitgenössischer Filmstars an. Um Gerichtsprozessen wegen »Mißbrauchs leiblicher Ähnlichkeit« aus dem Wege zu gehen, konnte sich jedermann, der eine Kopie der First Lady der USA oder der Frau seines Nachbarn im Schrank haben wollte, eine solche ins Haus schicken lassen, per Nachnahmeversand und in Einzelteile zerlegt, die man anhand einer Montageanleitung zur gewünschten Playmate zusammensetzen konnte. Es soll sogar Personen gegeben haben, die an sogenanntem Narzißmus litten, also niemanden liebten als sich selbst und konsequenterweise Konterfeis ihrer selbst anfertigen ließen. Die Gesetzgebung krümmte sich unter der Last der neuen Probleme, zugleich war aber auch klar, daß man die Produktion von Sendlingen nicht einfach verbieten konnte (etwa wie Privatpersonen die Herstellung von Atombomben und Rauschgift untersagt wird): Das Sendlingswesen war bereits eine mächtige Industrie, die sowohl für die Volkswirtschaft als auch für Wissenschaft und Technik arbeitete, die Raumfahrt eingeschlossen, denn nur als Sendling konnte der Mensch auf großen Planeten, wie Saturn oder Jupiter, landen. Sendlinge wurden auch im Bergbau und in Notdiensten eingesetzt, im Bergrettungsdienst sowie bei Erdbeben und anderen Naturkatastrophen. Unersetzlich waren sie bei lebensgefährlichen Experimenten, sogenannten Vernichtungstests. Die Lunar Agency hatte mit der Gynandroics einen Spezialvertrag für Mondsendlinge. Ich sollte bald erfahren, daß man sie für das Projekt LEM (Lunar Efficient Missionary) bereits einzusetzen versucht hatte, freilich mit ebenso rätselhaften wie katastrophalen Folgen.
Durch die Montagehallen der Gynandroics führte mich Paridon Sawekahu, der leitende Ingenieur. Nach der Gewohnheit seiner Nation sprach er mich mit Vornamen an, und ich mußte bei meinen Antworten auf der Hut sein, um Paridon nicht dauernd mit Pyramidon zu verwechseln. Tottentanz und Blahouse begleiteten uns. Ingenieur Sawekahu klagte über den Hagel immer neuer juristischer Beschränkungen, die die Forschungsarbeit und die Entwicklung neuer Prototypen erschwerten. Die Banken zum Beispiel hatten an ihren Eingängen generell Sensoren eingebaut, die Sendlinge ausspürten. Das wäre halb so schlimm gewesen, es war sogar verständlich, denn man fürchtete ferngesteuerte Überfälle. Zahlreiche Banken benutzten jedoch statt reiner Alarmanlagen thermoinduktive Sicherungen, die den Sendling, kaum daß sie ihn an der Elektronik in seinem Innern erkannt hatten, einem unsichtbaren Schlag von Wellen hoher Frequenz aussetzten. Der dadurch verursachte Temperatursprung brachte seine Leitungen zum Schmelzen und machte ihn zu Schrott. Die Käufer nun richteten ihre Beschwerden nicht an die Banken, sondern an die Gynandroics. Außerdem kam es gar schon zu Gewalttaten, sogar zu
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