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Frieden auf Erden

Frieden auf Erden

Titel: Frieden auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Mikropen, entdeckte aber nirgends auch nur die Spur ihrer funkelnden Wolke. Auch Stimmen waren nicht zu hören, obwohl sie mich bereits wieder erreichen mußten. Das Ticken des Wächters im Helm war selten geworden, es klang, als fielen einzelne Sandkörner auf eine Membran. Als ich eine undeutliche Stimme vernahm, hielt ich sie für die Zentrale, hörte mich dann aber hinein und erstarrte. Drei Wörter verstand ich zunächst aus dem heiseren Stammeln: »Mein leiblicher Bruder … mein leiblicher Bruder …« Ein Moment Ruhe, dann wieder: »Mein leiblicher Bruder … Leiblicher Bruder, mein …«
    Wer spricht da? wollte ich rufen, wagte es aber nicht. Verkrampft saß ich da und spürte den Schweiß auf meine Stirn treten. Wieder war mein Helm erfüllt von der fremden Stimme. »Komm, mein leiblicher Bruder! Leiblicher Bruder, komm zu mir! Du brauchst keine Angst zu haben, ich tue dir nichts Böses, komm zu mir, mein Bruder! Wir werden uns nicht bekämpfen, tritt näher, mein leiblicher Bruder. Fürchte nichts, ich will nicht den Kampf. Wir wollen Brüder sein, Brüder! Hilf mir, so will auch ich dir helfen, mein Bruder!«
    Dann knackte etwas, und die gleiche Stimme sagte in gänzlich anderem Ton, schnarrend, schroff und scharf: »Die Waffe nieder! Die Waffe nieder! Ergib dich, oder ich schieße! Kein Fluchtversuch! Dreh dich um, die Hände hoch! Beide Hände ins Genick! Keine Bewegung! Keine Bewegung!«
    Wieder ein Knacken, wieder die Stimme, wieder im Tonfall von zuvor, stammelnd und schwach: »Mein Bruder, komm her. Wir wollen Brüder sein, hilf mir, wir wollen keinen Kampf.«
    Ich hatte keinen Zweifel mehr: Da sprach dieser Überrest. Er lag da, wie ich ihn abgeladen hatte, reglos, wie eine verrenkte Spinne, den Hinterleib untergeschlagen, die Gliedmaßen verschränkt. Seine leeren Augenhöhlen gähnten in die Sonne, nur aus seinem Innern redete etwas auf mich ein, immer im Kreis herum, ein Lied für zwei Takte, für zwei Melodien. Einmal vom leiblichen Bruder, dann rauhe Befehle. Er ist so programmiert, dachte ich, ganz simpel, Puppe oder Roboter, erst sollte er den Menschen, den Soldaten anködern, dann gefangennehmen oder töten. Bewegen konnte er sich nicht mehr, aber das vom Brand verschonte Programm krächzte noch in ihm, immer im Kreis herum. Warum aber über Funk? Wenn er für den Einsatz auf der Erde bestimmt gewesen wäre, hätte er wohl mit normaler Stimme direkt gesprochen. Ich begriff nicht, wozu er den Funk nötig hatte. Lebendige Soldaten hatte es auf dem Mond nicht geben können, und einen Roboter hätte er so nicht geködert.
    Irgendwie fand ich das alles ohne Sinn und Verstand. Ich besah mir diesen geschwärzten Schädel, die verdrehten, verkohlten Hände mit den zu Zapfen geschmolzenen Fingern, den zerfetzten Rumpf, verspürte jedoch nicht mehr jenes automatische Mitleid wie vorhin. Ich sah ihn eher feindselig an, nicht einmal nur mit Abscheu, obwohl er doch weiß Gott keine Schuld hatte. Er war so programmiert. Kann man sich über ein Programm moralisch entrüsten, das in elektrische Schaltkreise gedruckt ist? Als er wieder anfing, von dem leiblichen Bruder zu quasseln, suchte ich ihm zu antworten, aber er nahm es nicht wahr. Zumindest ließ er sich nichts anmerken.
    Ich stand auf, mein Schatten fiel auf seinen Kopf, und er verstummte mitten im Wort. Ich trat einen Schritt beiseite, und er sprach weiter. Demnach hatte die Sonne ihn geweckt. Ich überlegte, was ich tun sollte. Viel Freude konnte man an dieser als Falle programmierten Puppe nicht gehabt haben, als »Kriegsgerät« war sie reichlich primitiv. Die Waffenmeister des Mondes mußten diese langbeinigen Geschöpfe denn auch als wertloses Gerümpel angesehen haben, sonst hätten sie sie nicht zur Erprobung der Folgen von Kernwaffenschlägen benutzt. Damit er mir mit seinem Leichengesang nicht auf die Nerven ging (ich kann freilich nicht sagen, ob nur das der Grund war), trug ich größere Geröllbrocken zusammen und sammelte sie erst auf sein Haupt, dann auf den ganzen Körper, als wollte ich ihn begraben. Es wurde völlig still, bis auf ein leises Zirpen. Erst glaubte ich, das sei immer noch er, und sah mich schon nach weiteren Steinen um, aber dann bekam ich mit, daß es Morsezeichen waren: »t-i-c-h-y a-c-h-t-u-n-g t-i-c-h-y h-i-e-r z-e-n-t-r-a-l-e h-a-v-a-r-i-e a-n ü-be-r-t-r-a-g-u-n-g-s-s-a-t-e-l-l-i-t-e-n t-o-n-u-n-t-e-r-b-r-e-c-h-u-n-g w-i-r-d s-o-f-o-r-t b-e-h-o-b-e-n b-i-t-t-e w-a-r-t-e-n«
    Also war einer der trojanischen

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