Friedhof der Kuscheltiere
Schwärze.
Gage, wo bist du?
Hast du schon einmal daran gedacht, Louis, ob du deinem Sohn vielleicht keinen guten Dienst erweist? Vielleicht ist er glücklich dort, wo er ist. Vielleicht ist das alles doch nicht der Mumpitz, für den du es immer gehalten hast. Vielleicht ist er bei den Engeln, vielleicht schläft er nur. Und wenn er schläft -- weißt du wirklich, was du dann aufweckst?
Oh, Gage, wo bist du? Ich möchte dich wiederhaben.
Aber war er wirklich Herr seines eigenen Tuns? Warum konnte er sich nicht an Gages Gesicht erinnern, und warum handelte er allen Warnungen zum Trotz -- der Warnung Juds, dem Traum mit Pascow, der Angst in seinem eigenen Herzen?
Er dachte an die Gedenktafeln auf dem Tierfriedhof, an die ungefähren Kreise, die als Spirale abwärts führten in das große Geheimnis, und da überkam ihn die Kälte wieder. Warum stand er hier und versuchte, sich an Gages Gesicht zu erinnern?
Er würde es bald genug sehen.
Der Grabstein war noch nicht da. Aber jemand war hier gewesen und hatte das Grab besucht: da lagen frische Blumen. Wer mochte das gewesen sein? Missy Dandridge?
Sein Herz schlug schwer, aber langsam. Nun war es so weit; wenn er es tun wollte, dann mußte er jetzt anfangen. Die Nacht war nicht endlos, und nach ihr kam der Tag.
Louis blickte zum letzten Mal in sein Herz und sah, daß die Antwort Ja lautete. Daß er entschlossen war, es durchzustehen. Er nickte kaum wahrnehmbar und tastete nach seinem Taschenmesser. Er hatte das Bündel mit Klebeband umwickelt; nun durchtrennte er es. Er entrollte das Segeltuch am Fuß von Gages Grab wie eine Bettdecke und legte dann das Werkzeug ebenso methodisch zurecht, wie er seine Instrumente zu ordnen pflegte, wenn eine Wunde zu nähen oder eine kleine Operation auszuführen war.
Hier war die Taschenlampe, mit einem Stück Filz abgeschirmt, wie es der Verkäufer im Haushaltswarengeschäft vorgeschlagen hatte. Auch der Filz wurde von Klebeband gehalten. Er hatte ein kleines, rundes Loch hineingeschnitten, indem er eine Münze daraufgelegt und mit dem Skalpell daran entlanggeschnitten hatte. Da war die Hacke, die er jetzt wahrscheinlich nicht brauchen würde. Es gab keine versiegelte Gruft, und in einem frisch zugeschaufelten Grab gab es auch keine Steine. Hier waren die Schaufel, der Spaten, das Seil, die Handschuhe. Er zog die Handschuhe an, ergriff den Spaten und machte sich an die Arbeit.
Der Boden war weich, das Graben leicht. Die Umrisse des Grabes waren genau zu erkennen -- die Erde, die er aushob, war lockerer als die an den Kanten. Sein Verstand verglich fast automatisch die Mühelosigkeit dieser Arbeit mit der steinigen, unerbittlichen Erde an dem Ort, an dem er, wenn alles gut ging, seinen Sohn später in dieser Nacht wieder begraben würde. Dort würde er auch die Hacke brauchen. Dann schaltete er sein Denken ab. Es war ihm nur im Wege.
Er warf die Erde, die er herausholte, links neben dem Grab auf, in einem stetigen Rhythmus, den einzuhalten ihm erst schwerfiel, als das Loch tiefer wurde. Er trat in das Grab, nahm den dumpfen Geruch frisch ausgehobener Erde wahr, einen Geruch, dessen er sich seit den Sommern bei Onkel Carl entsinnen konnte.
Buddler, dachte er und hielt inne, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Das, so hatte Onkel Carl ihm erzählt, war der Spitzname für alle Totengräber. Ihre Freunde nannten sie Buddler.
Er machte weiter.
Danach machte er nur noch einmal Pause, und auch nur, um auf seine Uhr zu schauen. Es war zwanzig Minuten nach zwölf. Ihm war, als glitte ihm die Zeit wie eingefettet durch die Hände.
Vierzig Minuten später stieß der Spaten auf etwas Hartes, und Louis biß sich so heftig auf die Unterlippe, daß sie blutete. Er nahm die Taschenlampe und richtete sie nach unten. In der Erde zeigte sich wie hingekritzelt eine diagonale, silbriggraue Linie -- der Deckel des Grabeinsatzes. Louis holte den größten Teil der Erde herunter, aber er fürchtete, dabei zu viel Lärm zu machen, und es gab kaum etwas Lauteres als einen Spaten, der mitten in der Nacht über Beton scharrt.
Er stieg aus dem Grab, holte das Seil und fädelte es durch die Eisenringe der einen Hälfte des zweiteiligen Deckels. Dann stieg er wieder heraus, breitete die Plane aus, legte sich darauf und faßte die Enden des Seils.
Louis, das ist es jetzt. Deine letzte Chance.
Richtig. Es ist die letzte Chance, und ich werde sie nutzen.
Er streifte die Handschuhe ab, wickelte sich die Seilenden um die Hände und
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