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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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kaum, was sie sagte. In Gedanken versuchte sie bereits, die Zeit abzuschätzen.
    Selbst wenn sie in selbstmörderischem Tempo über die Fernstraße jagte, würde sie in Portland das Flugzeug nach Bangor nicht mehr erreichen. Also mußte sie durchfahren. Wie lange würde das dauern? Das kam auf die Entfernung an. Vierhundert Kilometer, fiel ihr ein. Vielleicht hatte Jud die Zahl einmal erwähnt. Viertel nach zwölf würde sie losfahren können, wahrscheinlich eher halb eins. Es war durchgehend Schnellstraße. Sie hielt ihre Chancen, die ganze Strecke Tempo hundert zu fahren, ohne wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten zu werden, für recht gut. Die Rechnung war einfach. Vierhundert durch hundert -- das waren rund vier Stunden. Vielleicht auch viereinhalb. Sie würde einmal anhalten und zur Toilette gehen müssen. Und obwohl ihr der Gedanke an Schlaf jetzt absurd vorkam, kannte sie ihre eigenen Reserven gut genug, um zu wissen, daß sie außerdem einmal anhalten mußte, um eine große Tasse schwarzen Kaffee zutrinken. Dennoch konnte sie vor Tagesanbruch in Ludlow sein.
    Noch während sie diese Überlegungen anstellte, machte sie sich auf den Weg zur Treppe -- die Leihwagen-Agenturen befanden sich im Untergeschoß.
    »Viel Glück«, rief ihr die Beamtin nach. »Und fahren Sie vorsichtig.«
    »Danke«, sagte Rachel. Sie hatte das Gefühl, ein bißchen Glück verdient zu haben.

 51
    Zuerst überfiel ihn der Gestank, und Louis fuhr würgend zurück. Er hielt sich schwer atmend an der Kante des Grabes fest, und gerade als er dachte, er hätte seinen Schlund unter Kontrolle, stieg das ganze große, geschmacklose Abendessen in ihm hoch. Er erbrach es über den Rand des Grabes hinweg und lehnte dann keuchend den Kopf an das Erdreich. Endlich gab sich die Übelkeit. Mit zusammengebissenen Zähnen zog er die Taschenlampe aus der Achselhöhle und richtete sie in den offenen Sarg.
    Ein Grauen, das fast panisches Entsetzen war, ergriff ihn -- ein Gefühl, wie es gewöhnlich den schlimmsten Alpträumen vorbehalten bleibt, Alpträumen, an die man sich nach dem Erwachen kaum noch erinnert.
    Gages Kopf war verschwunden.
    Louis' Hände zitterten so heftig, daß er die Taschenlampe mit beiden Händen halten mußte; er packte sie wie ein Polizist, der gelernt hat, wie er seinen Dienstrevolver auf dem Schießstand halten muß. Dennoch fuhr der helle Fleck hin und her, und es dauerte ein paar Sekunden, bis er den bleistiftdünnen Strahl wieder in den Sarg lenken konnte.
    Es ist unmöglich, sagte er sich. Denke daran -- was du gesehen zu haben glaubst, ist unmöglich.
    Langsam ließ er den dünnen Lichtstrahl über Gages Körper wandern, von den neuen Schuhen zur Anzughose, dem kleinen Jackett (Gott, wann hat je ein Zweijähriger einen Anzug getragen?), zu dem offenen Hemdkragen, zu...
    Sein Atem stockte mit einem rauhen Laut, zu fassungslos, um ein Keuchen zu sein, und die ganze Wut über Gages Tod stürzte wieder auf ihn ein, überlagerte seine Angst vor dem Übernatürlichen, dem Außernatürlichen, die wachsende Gewißheit, daß er den ersten Schritt ins Reich des Wahnsinns getan hatte.
    Louis tastete in seiner Hosentasche nach dem Taschentuch und zog es heraus. Er nahm die Lampe in eine Hand und beugte sich wieder über das Grab, so weit, daß er kaum das Gleichgewicht halten konnte. Wäre jetzt einer der Deckel des Grabeinsatzes umgekippt, so hätte er ihm mit Sicherheit das Genick gebrochen. Mit seinem Taschentuch wischte er sanft das feuchte Moos ab, das auf Gages Haut wuchs -- Moos, so dunkel, daß er einen Augenblick der Täuschung erlegen war und geglaubt hatte, Gages Kopf wäre verschwunden.
    Das Moos war feucht, bildete aber nur eine dünne Schicht. Er hätte damit rechnen müssen; es hatte geregnet, und der Grabeinsatz war nicht wasserdicht. Louis ließ den Lichtstrahl zur Seite wandern und sah, daß der Sarg in einer flachen Pfütze stand. Unter der dünnen Schleimschicht sah er seinen Sohn. Obwohl der Bestattungsunternehmer wußte, daß der Sarg nach einem so grauenhaften Unfall nicht mehr geöffnet werden würde, hatte er sein Bestes getan -- das taten Bestattungsunternehmer fast immer. Er sah seinen Sohn, und es war, als sähe er eine schlecht gearbeitete Puppe. Gages Kopf wies merkwürdige Ausbuchtungen auf. Die Augen hinter den geschlossenen Lidern waren tief eingesunken. Aus seinem Mund kam etwas Weißes, das der Zunge eines Albinos glich, und Louis dachte zuerst an geronnene Flüssigkeit: vielleicht hatten sie

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